September 27, 2024
Burjatische Stimmen gegen den Krieg: Widerstand und postkoloniale Perspektiven

Schon kurz nach Beginn der russischen Großinvasion in die Ukraine, im März 2022, posteten burjatische Aktivisten im Internet ein Video, das gegen die mediale Darstellung burjatischer Soldaten als Putins loyalste Kämpfer protestiert. „Burjaten, das ist nicht unser Krieg. Widersetzt euch!“, heißt es darin. Die seit 2016 in Prag lebende Burjatin Aleksandra Garmazhapova, die das Video mit verbreitete, erklärt: „Wir wollten sagen, dass auch wir Burjaten Russlands verbrecherische Aggression gegen die Ukraine nicht unterstützen.“ Etwa eine Million Menschen hätten es gesehen. Noch im selben Monat gründete sie mit anderen Aktivisten die Stiftung „Freies Burjatien“. Es ist die erste Organisation einer nationalen Minderheit aus Russland, die sich gegen den Krieg ausspricht und Moskaus Politik gegenüber den nationalen Republiken kritisiert. Nach ihrem Vorbild entstand ein Dutzend weiterer Organisationen.

Migrationsmuster und -wege sind traditionellerweise eng mit der kolonialen Geschichte der betroffenen Länder verknüpft. In Eurasien ist das nicht anders. Erst vor kurzem wurde die im Westen vorherrschende historische Kolonialismusforschung einer lange überfälligen Kritik unterzogen, da sie in ihrem analytischen Rahmen keinen Platz für den russischen Imperialismus lässt. Postkoloniale Ansätze sind nichtsdestotrotz auch für das Verständnis der Beziehung zwischen Russland und seinen ehemaligen Kolonien (und heutigen Nachbarstaaten) von entscheidender Bedeutung. Der Krieg in der Ukraine hat der Welt diese Dynamiken auf grausame Weise vor Augen geführt. Angesichts des ukrainischen Kampfes geraten jedoch die weit ausgedehnte östliche Peripherie Russlands und die ehemaligen russischen Kolonien, die heute unabhängige Staaten sind, leicht in Vergessenheit. Deren Bewohner:innen haben nicht nur bis heute unter den Folgen des russischen Kolonialismus zu leiden, sondern erleben auch eine Rassifizierung, von der Ukrainer:innen nicht betroffen sind.

Wie Andrzej Szeptycki postuliert, konzentriert sich die (post-)koloniale Forschung klassischerweise auf die westeuropäische Herrschaft über überseeische Gebiete, deren Bevölkerung von den Kolonisatoren als different aufgefasst wird. María do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan lassen in ihrem Einführungswerk über postkoloniale Theorie das „Zeitalter des europäischen Kolonialismus“ mit dem Griff nach der Karibik und den Amerikas beginnen, auch wenn sie auf schon früher auftretende Phänomene der Okkupation und Herrschaft verweisen. Andrzej Szeptycki plädiert für eine Ausweitung des Begriffs: „Colonialism should be described as a protracted rule over another racial/ethnic group, coupled with a policy of economic exploitation and forced acculturation.“

Quelle: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/russland-wie-die-nationalen-minderheiten-zum-krieg-in-der-ukraine-stehen-110010764.html

Quelle: https://laender-analysen.de/zentralasien-analysen/152/postkolonialismus-und-migration-zentralasien-waehrend-des-russischen-angriffskrieges-gegen-die-ukraine/

Quelle: https://www.boell.de/de/2023/11/29/11-europaeisches-geschichtsforum-dekolonisiert-euch

Quelle: https://www.blaetter.de/ausgabe/2024/april/auf-dem-koerper-der-frau-putins-kolonialismus

Quelle: https://oeg.blogs.ruhr-uni-bochum.de/das-postkoloniale-verhaeltnis-zwischen-der-ukraine-und-russland/

Quelle: https://www.iwm.at/publication/iwmpost-article/der-krieg-in-der-ukraine-ist-ein-kolonialkrieg

Quelle: https://www.ecchr.eu/glossar/postkoloniale-rechtskritik/

Quelle: https://www.vr-elibrary.de/doi/pdf/10.7788/boehlau.9783412213688.27

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