Die Parlamentswahlen in Japan haben ein überraschendes Ergebnis hervorgebracht: Die seit Jahrzehnten regierende Koalition aus der Liberaldemokratischen Partei (LDP) von Ministerpräsident Shigeru Ishiba und der Komeito hat ihre absolute Mehrheit im Unterhaus verloren. Wie die Tagesschau berichtet, konnte das Regierungsbündnis nur 215 der 465 Sitze erringen. Damit beginnt in Tokio ein Machtpoker um die zukünftige Regierungsbildung. Kleine Oppositionsparteien sind plötzlich zu Königsmachern aufgestiegen und spielen eine entscheidende Rolle bei der Bestimmung des nächsten Ministerpräsidenten.
Im Zentrum des Machtkampfes steht die Demokratische Volkspartei (DVP), die drittstärkste Kraft im Parlament. Wie Tim Kanning in der F.A.Z. schreibt, hat die DVP ihre Mandate vervierfacht und ist nun im Besitz von 28 Sitzen. DVP-Chef Yuichiro Tamaki hat zwar eine Koalition mit der LDP und Komeito ausgeschlossen, signalisiert aber gleichzeitig Verhandlungsbereitschaft. Die DVP könnte der LDP im Parlament ihre Unterstützung für zentrale Entscheidungen – inklusive der Wahl des Ministerpräsidenten – anbieten, so Kanning weiter. Dafür erwartet Tamaki jedoch Zugeständnisse bei politischen Inhalten, insbesondere bei der Steuerpolitik. Wie die ZDF berichtet, fordert die DVP Steuersenkungen, um die Einkommen der Bürger zu verbessern, während die LDP bisher auf Steuererhöhungen zur Finanzierung der steigenden Militärausgaben gesetzt hat.
Die Verhandlungen zwischen LDP und DVP gestalten sich schwierig. Laut F.A.Z. trafen sich die Generalsekretäre beider Parteien, um über ein Konjunkturpaket und den nächsten Haushalt zu beraten. Während die LDP ein gemeinsames Komitee zur Entscheidungsfindung vorschlug, beharrt die DVP auf Einzelabstimmungen im Parlament, um ihre Machtposition voll auszuschöpfen.
Die personelle Nähe zwischen Ishiba und Tamaki könnte die Verhandlungen begünstigen. Beide Politiker haben in der Vergangenheit unter dem ehemaligen LDP-Ministerpräsidenten Junichiro Koizumi zusammengearbeitet. Dennoch bleiben die inhaltlichen Differenzen, insbesondere in der Finanzpolitik, bestehen.
Die Wahl des Ministerpräsidenten findet voraussichtlich am 11. November statt. Sollte Ishiba im ersten Wahlgang keine absolute Mehrheit erhalten, kommt es zu einer Stichwahl, wahrscheinlich gegen den Kandidaten der größten Oppositionspartei, der Konstitutionell-Demokratischen Partei (KDP), Yoshihiko Noda, berichtet die F.A.Z.. Tamaki hat angekündigt, dass die DVP-Abgeordneten im ersten Wahlgang für ihn selbst stimmen werden, wodurch ihre Stimmen ungültig und Ishiba indirekt unterstützt würde. Noda bemüht sich derweil um ein Bündnis der Oppositionsparteien, hat aber bisher keine festen Zusagen erhalten, so die F.A.Z.. Ohne die Stimmen der DVP hat er kaum Chancen, die Mehrheit zu erringen.
Der Ausgang des Machtpokers in Tokio ist ungewiss. Die Verhandlungen zwischen LDP und DVP werden die politische Landschaft Japans in den kommenden Jahren maßgeblich prägen. Die F.A.Z. merkt an, dass die DVP, obwohl eng mit dem Gewerkschaftsbund verbunden, politisch weniger links steht als die KDP und somit ein möglicher Partner für die konservative LDP sein könnte.
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