Die Auseinandersetzung mit dem Thema Erbe und Vererben wird für immer mehr Deutsche unangenehm. Laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 27. November 2024 ergab eine vom Allensbach-Institut im Auftrag der Deutschen Bank durchgeführte Umfrage, dass 64 Prozent der Befragten dieses Thema nur „ungern“ behandeln. Im Vergleich zu früheren Umfragen verstärkt sich diese Tendenz. Während im Jahr 2013 noch 40 Prozent der Befragten vor einem Erbfall das Gespräch suchten, waren es 2024 nur noch 31 Prozent. Als einen möglichen Grund nannte der Münchner Rechtsanwalt und Steuerberater Bernhard Schmid, der die Studie gemeinsam mit der Deutschen Bank vorstellte, die Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit.
Diese zunehmende Zurückhaltung spiegelt sich auch in der Anzahl der vorhandenen Testamente wider. Nur 35 Prozent der Befragten gaben an, ein Testament verfasst zu haben. Besonders niedrig ist dieser Anteil bei den unter 50-Jährigen mit lediglich elf Prozent, wohingegen bei den über 65-Jährigen immerhin 50 Prozent ein Testament vorweisen können. Mario Fritsch, Experte für Vermögensübertragung bei der Deutschen Bank in München, bezeichnete diese Zahlen als „erschreckend“ und forderte eine Veränderung. Seiner Meinung nach sollten bereits junge Familien frühzeitig Regelungen treffen, zum Beispiel bezüglich der Vormundschaft für die Kinder im Todesfall der Eltern.
Ein weiteres Problem liegt in der Kommunikation innerhalb der Familie. Kinder scheuen sich häufig, das Thema Erbe mit ihren Eltern zu besprechen. Die Allensbach-Umfrage ergab, dass 82 Prozent der Befragten die Initiative beim Erblasser sehen, während nur vier Prozent der Ansicht sind, der potentielle Erbe sollte das Gespräch beginnen. Rechtsanwalt Schmid führte dies auf moralische Bedenken und ein generelles Unbehagen der Kinder zurück, das Thema anzusprechen. Ironischerweise, so Schmid, seien es letztendlich meist die Kinder, die die Erbschaftssteuer begleichen müssen.
Die Umfrageergebnisse verdeutlichen auch die unterschiedlichen Ansichten darüber, wann der richtige Zeitpunkt für ein Gespräch über das Erbe ist. 17 Prozent der Befragten nannten Familienfeiern als passende Gelegenheit, 24 Prozent den Eintritt in den Ruhestand, 28 Prozent den Tod einer nahestehenden Person und 39 Prozent eine schwere Erkrankung eines Familienmitglieds oder Freundes. Bank-Experte Fritsch sieht die Ansprache im Kontext einer schweren Erkrankung allerdings kritisch, da dies eine negative Prognose implizieren könnte.
Das Statistische Bundesamt registrierte 2023 steuerpflichtige Erbschaften und Schenkungen im Wert von 121 Milliarden Euro – ein Rekordwert und ein Anstieg von fast 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die tatsächliche Summe der Vermögensübertragungen dürfte jedoch deutlich höher liegen, da Erbschaften und Schenkungen unterhalb der Freibeträge nicht erfasst werden. Auch das Volumen der einzelnen Erbschaften nimmt zu. Laut der Allensbach-Umfrage rechnen 52 Prozent der potenziellen Erblasser mit einem Erbe von mehr als 250.000 Euro, im Vergleich zu 30 Prozent vor sechs Jahren.
Anhand eines Beispiels verdeutlichte Steuerberater Schmid die Notwendigkeit frühzeitiger Regelungen: Bei der Übertragung eines Eigenheims an den Ehepartner gilt ein Freibetrag von 500.000 Euro, und bei dauerhaftem Bewohnen durch den überlebenden Partner ist die Immobilie sogar steuerfrei. Unverheiratete Paare hingegen werden steuerlich wie Fremde behandelt und haben lediglich einen Freibetrag von 20.000 Euro.
Auch andere Medien berichteten über die zunehmende Schwierigkeit, über das Thema Erben zu sprechen. So titelte die Wirtschaftswoche am 23.09.2013 "Tabuthema: Ein Haus zu erben kann Familien zerstören" und beschrieb die Konfliktpotenziale, die mit einem Erbe, insbesondere einer Immobilie, einhergehen können. Das Handelsblatt unterstrich in einem Artikel vom 27. November 2024 ebenfalls die Wichtigkeit offener Gespräche zur Vermeidung von Streitigkeiten. Die Deutsche Presseagentur berichtete am selben Tag über die Allensbach-Studie und die wachsende Bedeutung von Erbschaften für die Altersvorsorge.
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