September 29, 2024
Erinnerung an Marzabotto: 80 Jahre nach dem Massaker

Die meiste Zeit der Nazi-Herrschaft in Deutschland war Italien ein treuer Verbündeter unter dem faschistischen Diktator Benito Mussolini. Nachdem die Italiener 1943 ihren Duce gestürzt hatten und in der Folge von den Deutschen besetzt wurden, begann ein düsteres Kapitel. In den beiden verbleibenden Jahren des Weltkriegs kam es zu zahlreichen Massakern an Zivilisten. Eines der grausamsten Verbrechen begingen die deutsche Truppen am 29. September 1944 und den folgenden Tagen in der Nähe der Ortschaft Marzabotto im bergigen Gelände am Monte Sole bei Bologna, in Emilia-Romagna. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, ermordeten deutsche Truppen nahe des Ortes Marzabotto 771 Menschen. Männer, Frauen, Kinder fielen dem Massaker zum Opfer.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier reiste am Sonntag zum 80. Jahrestag an den Ort des Verbrechens. In seiner Rede vor Politikern, Historikern und Angehörigen und Nachfahren der Opfer sagte er, dass die Orte Fivizzano, Fosse Ardeatine, Sant’Anna di Stazzema, Civitella und eben Marzabotto zwar im italienischen Gedächtnis eingeschrieben, aber in Deutschland bislang kaum bekannt seien. Namentlich stehe Marzabotto für das Morden der NS-Truppen, die „in ihrem Hass und ihrer Verblendung unmenschliche Verbrechen verübt“ hätten, sagte der Bundespräsident. Steinmeier war mit seinem italienischen Amtskollegen Sergio Mattarella aus Deutschland angereist, wo sich dieser drei Tage lang zu einem Staatsbesuch aufgehalten hatte.

„Es war bestialisch“, sagte Steinmeier, „wie die deutschen Truppen, Mitglieder der 16. SS-Panzergrenadier-Division ,Reichsführer-SS’, hier wüteten. Unterstützt von der Wehrmacht, wollten sie Rache nehmen für den Widerstand der Partisanen der ,Stella Rossa’. Aber es ging ihnen um viel mehr als Rache. Es trieb sie der Wille zur Vernichtung. Die SS-Männer mordeten in jenen Tagen im Herbst 1944 wie in einem Blutrausch. Sie sperrten die Menschen in Häusern ein und warfen Handgranaten hinein. Brannten Ställe, Wohnhäuser, Kirchen, Kapellen nieder. Sie kannten kein Erbarmen, keine Menschlichkeit, nicht einmal für Frauen, Priester, betagte Männer. Und auch nicht für Kinder, so viele Kinder.“

Die Worte würden „klein an diesem Ort“, sagte Steinmeier: „Sie reichen nicht aus, um zu beschreiben, was hier am Monte Sole vor 80 Jahren geschehen ist. So viel Grausamkeit. So viel Qual. So viel Trauer. So viele Menschen, deren Leben hier ausgelöscht wurde.“ Fünf Tage sollte das Morden dauern, „fünf Tage in der Hölle“, wie Steinmeier sagte. Als die Deutschen weiterzogen, waren 771 Menschen tot. Darunter mehr als 300 Frauen und mehr als 200 Kinder, auch Säuglinge.

Der Bundespräsident bat im Namen Deutschlands um Vergebung. Die Opfer und die Nachfahren hätten ein Recht auf Erinnerung. „Die ganze Gegend hier am Monte Sole trägt bis heute tiefe, sichtbare Narben. Und ich weiß: Der Schmerz ist noch größer, weil die meisten Verbrechen nie gesühnt wurden. Das ist die zweite Schuld, die wir Deutschen auf uns geladen haben.“

Sich zu erinnern, damit nicht wieder geschehe, was einmal geschehen sei, sei die Verantwortung vor der Geschichte, gerade für Deutsche. „Und diese Verantwortung kennt keinen Schlussstrich“, sagte Steinmeier. „Europa hat nur dann eine friedliche Zukunft, wenn wir Deutschen diese Verantwortung vor der Geschichte niemals vergessen und sie verteidigen.“

Steinmeier erinnerte auch deshalb ganz bewusst an die Verbrechen, „weil wir in einer Zeit leben, in der auch in meinem Land nationalistische und rechtsextremistische Kräfte erstarken. Kräfte, die die Demokratie schwächen oder aushöhlen wollen – ausgerechnet in meinem Land. Mich sorgt das. Aber es macht mich auch entschlossen. Unsere Verantwortung ist heute wieder größer als in vielen Jahren zuvor: einzutreten und zu kämpfen für die Werte, auf denen unser geeintes Europa, unsere Demokratien gründen.“

Quellen:

Weitere
Artikel