Die Nacht hat ihren Mantel ausgebreitet, in diese magische Zeit hinein erklingt eine weibliche Stimme, elektronisch verfremdet, hallend bis an die Grenzen der Unendlichkeit. Schlampige Klavierakkorde, vielleicht von Menschenhand gespielt, in einem leicht angeschlagenen Dur, der mehr erahnt als verspricht. Aus der Ferne ein zischendes Hi-Hat, ein Aufblitzen und Verglühen, ein paar Streicher flirren im Zwielicht, ein Bass-Synthesizer pulsiert im Hintergrund. Alles atmet, alles ist organisch. Und ein Textfragment: „Never letting go.“ Niemals loslassen. So beginnt die musikalische Reise auf Jamie XXs neuem Album, die einen Künstler offenbart, der sich in sieben Jahren Schaffenspause die essentielle Frage stellte: Warum noch Musik machen? Die Antwort, die er gefunden hat, ist so schön wie die Musik selbst, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet.
Jamie XX, mit bürgerlichem Namen James Thomas Smith, ist ein Meister der leisen Töne. Bekannt wurde er als Teil des Londoner Dream-Pop-Trios The xx, das mit minimalistischen Klangwelten und melancholischen Texten die Herzen einer ganzen Generation eroberte. Doch Jamie XX strebte über die Grenzen des Minimalismus hinaus, er suchte die Ekstase auf der Tanzfläche, das Verschmelzen von Körper und Beat. Bereits sein Debütalbum „In Colour“ aus dem Jahr 2015 etablierte ihn als einen der innovativsten DJs und Produzenten der UK-Dance-Szene, wie der Spiegel schreibt.
Neun Jahre sind seitdem vergangen, neun Jahre, in denen es still um Jamie XX geworden war. Eine lange Zeit im schnelllebigen Musikgeschäft, in der man leicht in Vergessenheit geraten kann. Doch Jamie XX nutzte diese Zeit, um sich selbst zu finden, um seine Liebe zur Musik wiederzuentdecken. Die Pandemie, die für viele Künstler eine Zeit der Isolation und des Stillstands bedeutete, wurde für ihn zu einer Quelle der Inspiration. Er besann sich auf seine Wurzeln, hörte die alten Dance-Platten, die ihn einst inspiriert hatten, und fand so zu einer neuen Leichtigkeit und Verspieltheit zurück. „Ich hatte ein wenig die Perspektive verloren“, sagte er in einem Interview mit dem Spiegel. „Mein Ziel ist es nicht, der größte Act der Welt zu sein und in Stadien zu spielen. Mir gefällt, wo ich jetzt bin. Mein Ziel war es eher, ein besserer Mensch außerhalb der Musik zu werden. Der Raum und die Zeit in der Pandemie haben mir das ermöglicht und mir auch meine Liebe zur Musik zurückgegeben, meine Begeisterung für das, was ich tue, und die Motivation, ein weiteres Album zu machen.“
Auf seinem neuen Album „In Waves“ zelebriert Jamie XX die ganze Bandbreite der elektronischen Musik, von treibenden House-Beats über verspielte Steel-Drum-Melodien bis hin zu sphärischen Ambient-Klängen. Er sampelt, verfremdet und verwebt verschiedene Genres zu einem organischen Ganzen, das gleichzeitig vertraut und aufregend neu klingt. Gastauftritte von Künstlern wie Robyn, The Avalanches und Kelsey Lu setzen zusätzliche Akzente und unterstreichen die Vielseitigkeit des Albums.
Doch „In Waves“ ist mehr als nur ein Sammelsurium tanzbarer Tracks. Es ist ein Album, das von der Suche nach Sinn und Verbundenheit in einer komplexen Welt erzählt. Jamie XX verarbeitet darin seine eigenen Erfahrungen der letzten Jahre, die Höhenflüge und Abstürze, die Zweifel und die neu gewonnene Zuversicht. In den Texten und Klangwelten spiegelt sich die Sehnsucht nach Authentizität und Menschlichkeit wider, nach Momenten der Ekstase und der stillen Einkehr.
Inspiration findet Jamie XX auch abseits der Musik, beim Surfen. Dieses Hobby, das er auf Hawaii entdeckte, hat ihn gelehrt, sich den Wellen des Lebens hinzugeben, die Höhen und Tiefen zu akzeptieren. „Ich habe gelernt, gute und schlechte Dinge zu durchleben, wie wir alle es tun. Ich glaube, ich bin besser in meiner Musik und besser im Leben, wenn ich diese Wellen so nehme, wie sie kommen, anstatt immer nur an das nächste Ding zu denken“, so Jamie XX im Interview mit dem Spiegel.
Mit „In Waves“ ist Jamie XX ein Album gelungen, das gleichzeitig persönlich und universell ist, das zum Tanzen und zum Nachdenken anregt. Es ist die Geschichte eines Sinnsuchers, der seine Stimme wiedergefunden hat, und ein kraftvolles Plädoyer für die verbindende Kraft der Musik.
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