Die deutsche Regierungskoalition, bestehend aus SPD, Grünen und FDP, steht vor einer Zerreißprobe. Wie die dpa berichtet, hat die FDP den "Herbst der Entscheidungen" ausgerufen, und die "Woche der Entscheidungen" hat begonnen, so SPD-Chef Lars Klingbeil. Ein Treffen der Koalitionsspitzen am Mittwochabend könnte entscheidend sein. Zuvor wollen Kanzler Olaf Scholz (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) intern beraten. Die zentralen Streitpunkte sind die Wirtschafts- und Finanzpolitik. Die Frage steht im Raum: Kann dieses zerrüttete Bündnis überhaupt noch funktionieren?
Innerhalb der Ampel-Koalition herrscht ein ständiges Kräftemessen, wie auch die Zeit berichtet. Scholz, Habeck und Lindner haben jeweils eigene wirtschaftspolitische Vorstellungen. Derzeit stehen SPD und Grüne der FDP gegenüber. Beide Parteien vermuten, dass der kleinste Koalitionspartner auf ein Ende der Koalition hinarbeitet. Ein zentraler Streitpunkt ist ein Grundsatzpapier von Lindner, in dem er ohne vorherige Absprache einen wirtschaftspolitischen Richtungswechsel fordert.
Trotz der Spannungen arbeitet die Bundesregierung, der Bundestag und der Bundesrat weiter an Gesetzen. Am Mittwoch sollen mehrere Gesetzentwürfe im Kabinett beraten werden. Auch auf ein "Sicherheitspaket" mit Verschärfungen in der Asylpolitik und bei der inneren Sicherheit konnte sich die Ampel einigen. Die Zusammenarbeit gestaltet sich jedoch seit längerem mühsam. Immer wieder kommt es zu Konflikten, wenn es um grundlegende politische Überzeugungen der Koalitionspartner geht, wie beispielsweise beim Thema Atomkraft vor zwei Jahren oder bei der Frage der staatlichen Ausgaben. Das notwendige Geben und Nehmen in einer Koalition fällt SPD, Grünen und FDP zunehmend schwer – insbesondere seit dem Haushaltsurteil des Verfassungsgerichts vor etwa einem Jahr, das die Regierung in finanzielle Schwierigkeiten brachte. Die aktuellen Streitpunkte, die laut Lindner bereits im September geklärt werden sollten, sind die irreguläre Migration, die Leitplanken für die Wirtschaftspolitik und die Aufstellung des Bundeshaushalts.
Am Mittwoch tagt der Koalitionsausschuss mit wichtigen Mitgliedern der Bundesregierung sowie der Ampel-Parteien und -Fraktionen. Sollte sich dieser Kreis nicht einigen können, sind die Chancen gering, dass die Koalition bis zum regulären Wahltermin Ende September 2025 hält. Laut Klingbeil geht es um die Frage: "Haben alle noch genug Puste?" Sollte der große Knall ausbleiben, könnte das Ringen bis zur Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses am 14. November andauern, in der die Abgeordneten den Haushalt für das kommende Jahr beschließen sollen.
Angesichts der Konjunkturflaute prallen in der Wirtschaftspolitik die unterschiedlichen ideologischen Ansätze der Ampel-Partner aufeinander. Wirtschaftsminister Habeck (Grüne) schlägt einen milliardenschweren, schuldenfinanzierten Staatsfonds zur Förderung von Unternehmensinvestitionen vor. Die FDP lehnt dies ab und pocht auf die Einhaltung der Schuldenbremse. Sie fordert Entlastungen für die Wirtschaft, unter anderem durch einen sofortigen Stopp aller neuen Regulierungen. Lindner plädiert zudem für die Ersetzung nationaler durch europäische Klimaziele, was eine Verringerung oder zeitliche Streckung von Fördermaßnahmen, beispielsweise für den Heizungsaustausch, ermöglichen könnte. Die SPD will sich als Retterin von Industriearbeitsplätzen positionieren und erwägt milliardenschwere Maßnahmen zur Senkung der Netzentgelte und damit der Stromkosten sowie neue Förderprogramme zur Ankurbelung der Nachfrage nach Elektroautos. Die Forderung Lindners nach Abschaffung des Solidaritätszuschlags, den ohnehin nur noch Spitzenverdiener zahlen, lehnt die SPD ab.
Entscheidend ist, ob sich die Koalition auf einen Bundeshaushalt für das kommende Jahr einigen kann. Milliardenlücken müssen noch geschlossen werden. Am 14. November ist die Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses geplant. Lindner argumentiert in seinem Papier, dass angesichts der gesenkten Konjunkturprognose und der trüberen Steuerschätzung die im Haushaltsentwurf vorgesehenen Konsolidierungsschritte nicht ausreichen. Er fordert weitere Kürzungen der Staatsausgaben, beispielsweise beim Bürgergeld. Lindner spricht sich außerdem für den vollständigen Wegfall der Subvention für den Chipkonzern Intel aus. Die bisher dafür vorgesehenen 10 Milliarden Euro könnten in den Kernhaushalt fließen. Zur Entlastung der Unternehmen will die FDP erste Schritte zur vollständigen Abschaffung des Solidaritätszuschlags und eine Senkung der Körperschaftssteuer unternehmen. Klar ist: Das würde Milliarden kosten.