September 29, 2024
Österreichs Nationalratswahl: Wer wird der nächste Kanzler?

In Österreich wird an diesem Sonntag in Nationalratswahlen über die Politik in den nächsten fünf Jahren abgestimmt. Große Beachtung findet in Deutschland vor allem das Abschneiden der FPÖ, der Partnerpartei der AfD. Der FPÖ-Vorsitzende Herbert Kickl möchte gern „Volkskanzler“, wie er es nennt, werden. Auch Amtsinhaber Karl Nehammer (ÖVP) und Andreas Babler (SPÖ) machen sich Hoffnungen darauf, die nächste Regierung anzuführen. Bis man weiß, wer tatsächlich künftig Bundeskanzler in Wien ist und mit welchen Parteien dieser regiert, könnte es noch ein paar Monate dauern.

Hat Kickl Chancen, Kanzler zu werden?

Seit Anfang 2023 führt die rechte FPÖ in allen Umfragen. Zwischenzeitlich gingen die Ausschläge sogar teilweise über 30 Prozent. Zuletzt haben sich die „Blauen“ bei etwa 27 Prozent eingependelt (Zahlen nach APA-Wahltrend, der einen nach Aktualität gewichteten Durchschnitt der relevanten Umfragen anzeigt). Gegenüber der letzten Wahl von 2019, die von der Ibiza-Affäre des langjährigen FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache geprägt war, wäre das immer noch ein Zugewinn von satten elf Prozentpunkten.

Trotzdem sind die Chancen des Parteivorsitzenden Herbert Kickl, Kanzler zu werden, gering. Denn wie groß auch immer die Zuwächse für die FPÖ sein werden, von einer eigenen Mehrheit kann keine Rede sein. Eine Koalition mit der FPÖ haben aber alle anderen Parteien ausgeschlossen. Abgesehen davon hat der Bundespräsident das entscheidende Wort mitzureden. Und Amtsinhaber Alexander Van der Bellen hat Kickl schon einmal als Minister entlassen – das war bis dahin beispiellos – und hat zumindest indirekt unter Verweis auf sein Gewissen zu erkennen gegeben, dass er keine Neigung hat, ihn nun wieder für welches Amt auch immer „anzugeloben“.

Könnte die ÖVP um der Macht willen umfallen?

Die christdemokratische ÖVP hat sich ein Hintertürchen für Türkis-Blau offengelassen, indem sie bei ihrer Absage von der „Kickl-FPÖ“ sprach. Ihm zur Kanzlerschaft verhelfen will sie keinesfalls. Das wäre auch, abgesehen von möglichen grundsätzlichen Erwägungen, taktisch nicht in ihrem Interesse, auch wenn ÖVP und FPÖ bei vielen Inhalten nicht so weit auseinanderliegen. Denn nach allen realistischen Prognosen kann der Parteichef Karl Nehammer, wenn die ÖVP mindestens auf dem zweiten Platz landet, selbst Kanzler bleiben. Und dass Kickl zurücksteckt, damit eine türkis-blaue Regierung ohne ihn möglich wird, wie es 1999/2000 Jörg Haider getan hat, ist auch nicht zu erwarten, weil Kickl das glaubhaft ausgeschlossen hat. Das wäre „Wählerbetrug“, sagte Kickl, und der Rückzug Haiders damals sei ein schwerer Fehler gewesen. Lieber richtet sich Kickl eine weitere Periode in der Opposition ein und polarisiert weiter gegen eine ideologisch bunte Regierung. Bei der nächsten regulären Wahl 2029 wäre er immer noch erst 60 Jahre alt.

Wer kann dann überhaupt miteinander regieren?

Die Regierungsbildung wird auf jeden Fall sehr schwierig. Die bisherigen Koalitionspartner ÖVP und Grüne, die vor fünf Jahren unter dem Motto „das Beste aus zwei Welten“ angetreten sind, haben sich bis zur Feindschaft auseinandergelebt. Zuletzt hat die ÖVP gegen die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler sogar Strafanzeige erstattet – da ging es um die Zustimmung zur EU-Renaturierungsverordnung, der Gewessler trotz eines Nein von Koalitionspartner und Bundesländern zugestimmt hat. Anders als die ÖVP sah die Staatsanwaltschaft darin aber keinen Missbrauch der Amtsgewalt. Ein Bündnis der ÖVP mit der sozialdemokratischen SPÖ wäre zwar keine „große“ Koalition mehr wie einst, als man zusammen die Republik regierte und das Land in den neunziger Jahren nach Europa führte. Aber auch ein solches Bündnis wäre nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre schwer vorstellbar. Zu groß sind die Differenzen, zu tief sitzt das Misstrauen. Bleibt also nur eine „Formel“, die noch nie funktioniert hat: eine Dreierkoalition, etwa aus ÖVP, SPÖ und den liberalen Neos. Aber auch das wäre ein Experiment mit ungewissem Ausgang.

Wie die Nationalratswahl in Österreich abläuft, welche Parteien und Spitzenkandidaten antreten und welche Koalitionen möglich sind, lesen Sie hier.

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