Der gegenwärtige russische Imperialismus, der sich im Ukraine-Krieg offenbart, ist tief in der Geschichte verwurzelt. Er lässt sich nicht auf einzelne Personen oder isolierte Ereignisse zurückführen, sondern ist vielmehr das Ergebnis komplexer Prozesse, die sich über Jahrhunderte entwickelt haben. Die Expansion des russischen Reichs begann bereits im Mittelalter mit der territorialen Ausdehnung des Großfürstentums Moskau. Getrieben von einer Kombination aus wirtschaftlichen Interessen, religiösem Sendungsbewusstsein und Machtambitionen, expandierte das Zarenreich kontinuierlich – sowohl ostwärts nach Sibirien und zum Pazifik als auch in Richtung Süden und Westen.
Die Eroberung und Eingliederung verschiedener Völker und Gebiete prägte die russische Identität und das Selbstverständnis als Großmacht nachhaltig. Die Ideologie der "Sammlung der russischen Erde" spielte dabei eine entscheidende Rolle. Wie Gerd Koenen im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung analysiert, ist die russische Außenpolitik seit jeher durch einen zyklischen Verlauf von Expansion und Rückzug gekennzeichnet. Diese Dynamik lässt sich bis in die Anfänge der russischen Geschichte zurückverfolgen.
Die zaristische Herrschaft war durch eine autokratische Struktur geprägt, die demokratische Beteiligung stark einschränkte. Dieses autoritäre Erbe beeinflusst die russische Politik bis in die Gegenwart. Obwohl die Sowjetunion als ideologischer Gegenentwurf zum Zarismus entstand, übernahm sie dennoch zahlreiche imperiale Strukturen und Verhaltensweisen. Die Expansion des sowjetischen Einflussbereichs nach dem Zweiten Weltkrieg kann als Fortsetzung des russischen Imperialismus unter kommunistischem Deckmantel interpretiert werden.
Mit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 endete zwar das sowjetische Imperium, der imperiale Gedanke blieb jedoch bestehen. Der Verlust der ehemaligen Sowjetrepubliken wurde von vielen Russen als tiefe Demütigung empfunden. Dieser Verlust verstärkte den Wunsch nach einer Wiederherstellung der russischen Größe und ihres Einflusses. Vor diesem Hintergrund lässt sich der Ukraine-Krieg als Versuch deuten, die ehemalige Sowjetrepublik erneut in den russischen Einflussbereich zu integrieren und die geopolitische Position Russlands zu festigen.
Russlands Verhältnis zu Europa ist von jeher komplex. Einerseits orientierte sich Russland an europäischen Vorbildern in Bereichen wie Kunst, Kultur und Wissenschaft. Andererseits betrachtete sich Russland stets als eigenständige Zivilisation, die sich von Europa abgrenzt. Diese Ambivalenz spiegelt sich auch in der russischen Außenpolitik wider, die zwischen Kooperation und Konfrontation mit dem Westen oszilliert.
Die Ursachen des russischen Imperialismus sind vielfältig und reichen weit in die Vergangenheit zurück. Ein Verständnis dieser historischen Entwicklungen ist unerlässlich, um die aktuelle politische Lage und die russische Außenpolitik zu analysieren.
Quellen: