Die Krise bei Volkswagen wirft erneut die Frage nach der Rolle des Landes Niedersachsen als Anteilseigner auf. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.) am 30.10.2024 berichtete, steht der Konzern vor massiven Herausforderungen: Drei Werke in Deutschland sind potenziell von Schließung bedroht, Zehntausende Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel, und der Gewinn ist im dritten Quartal um zwei Drittel eingebrochen. Besonders im Vergleich zu anderen deutschen Autoherstellern, die ebenfalls mit Schwierigkeiten kämpfen, sticht die Situation bei VW hervor – nicht nur aufgrund des Ausmaßes der Krise, sondern auch wegen des starken staatlichen Einflusses.
Niedersachsen hält knapp 20 Prozent der VW-Aktien und damit zwei Sitze im Aufsichtsrat. Führende Ökonomen sehen in dieser Verflechtung von Politik und Wirtschaft einen zentralen Faktor für die aktuelle Krise. Die F.A.Z. zitiert Clemens Fuest, den Präsidenten des Ifo-Instituts, mit der Forderung nach einem radikalen Schnitt: „Die Politik sollte sich aus dem Unternehmen zurückziehen.“ Er sieht Interessenkonflikte, mangelnde Agilität in der Unternehmensführung und eine erhöhte Anfälligkeit für Skandale als Folge der staatlichen Beteiligung.
Die enge Beziehung zwischen Politik und Volkswagen hat Tradition und reicht weit zurück. Ein Beispiel, das die F.A.Z. anführt, ist der Fall Peter Hartz. Unter dem damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder (SPD) führte Hartz als Personalvorstand bei VW die Viertagewoche ein und rettete damit 30.000 Arbeitsplätze. Später berief Schröder ihn als Bundeskanzler zum Leiter der Kommission für die „Hartz-Reformen“. Ein weiteres Beispiel ist die Übernahme des insolventen Auftragsfertigers Karmann durch VW im Jahr 2009, forciert durch den damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU). Das Werk in Osnabrück, Wulffs Heimatstadt, droht heute trotz der damaligen Rettungsaktion die Schließung.
Neben der politischen Einflussnahme spielt auch der Betriebsrat bei VW eine besondere Rolle. Das VW-Gesetz sichert sowohl dem Land Niedersachsen als auch den Arbeitnehmervertretern weitreichende Mitspracherechte. Dies führte in der Vergangenheit zu Auswüchsen, wie der Schmiergeldaffäre im Jahr 2005, die den Konzern über Jahre beschäftigte. Trotz mehrfacher Forderungen der Europäischen Kommission nach Änderungen am VW-Gesetz blieben wesentliche Sonderrechte, wie das Vetorecht gegen Standortverlagerungen, erhalten. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs bestätigte die Regelung, wonach bereits eine Minderheit von 20 Prozent der Aktionäre – entsprechend dem Anteil Niedersachsens – wichtige Entscheidungen blockieren kann. Bei anderen Aktiengesellschaften liegt diese Hürde gemäß Aktiengesetz bei 25 Prozent.
Der Kölner Wirtschaftsprofessor Bernd Irlenbusch, Experte für gute Unternehmensführung, sieht in der staatlichen Beteiligung an VW erhebliche Probleme. Er argumentiert, der Staat solle sich auf die Gestaltung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen beschränken und nicht direkt in die Unternehmensführung eingreifen. Irlenbusch war als Berater für Compliance-Fragen im Zuge der Aufarbeitung des Dieselskandals bei VW tätig und sieht die Hausaufgaben des Konzerns in diesem Bereich noch nicht erledigt. Er befürchtet Wettbewerbsverzerrungen, da VW von staatlichen Förderungen, wie den von Ministerpräsident Stephan Weil geforderten Kaufprämien für E-Autos, überproportional profitieren könnte. Zudem sieht er die Gefahr, dass staatlich beteiligte Unternehmen sich dem Wettbewerb weniger stark stellen und notwendige Restrukturierungen verschleppen. Als Beispiel nennt er die verspätete Entwicklung eines günstigen Elektroautos für den Massenmarkt, ein Bereich, in dem VW der Konkurrenz hinterherhinkt.
Ein weiteres Problemfeld sind Interessenkonflikte. So besteht die Gefahr, dass der Staat aufgrund seiner Beteiligung seine Regulierungspflichten vernachlässigt. Irlenbusch verweist in diesem Zusammenhang auf den Dieselskandal, der 2015 durch US-Behörden aufgedeckt wurde. Er hält es für unwahrscheinlich, dass die deutschen Behörden weniger Informationen hatten als ihre amerikanischen Kollegen. Der Dieselskandal reiht sich in eine Reihe von Skandalen und Affären ein, die den Konzern in der Vergangenheit erschüttert haben.
Auch Achim Wambach, Präsident des ZEW, sieht die Gefahr von Interessenkonflikten. Der Staat sei als Miteigentümer dem Wohl des Unternehmens verpflichtet, gleichzeitig aber auch für die Regulierung des Marktes zuständig. Dies könne zu Konflikten führen, beispielsweise bei Entscheidungen über Produktionsstandorte.
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