Die wirtschaftliche Ungleichheit in Deutschland hat seit 2020 deutlich zugenommen, so das Ergebnis einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung. Wie die Zeit am 4. November 2024 berichtete, führt diese Entwicklung zu wachsenden Abstiegsängsten in der Bevölkerung, die bis weit in die Mittelschicht hineinreichen.
Der Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Stiftung zeigt einen alarmierenden Höchststand beim Anteil der Menschen, die in Armut leben. Die Coronakrise und die darauffolgende hohe Inflation haben die wirtschaftliche Lage vieler Haushalte erheblich verschärft. Zukunftssorgen und Abstiegsängste sind infolgedessen stark angestiegen. Mehr als die Hälfte der Menschen in der unteren Einkommenshälfte gab an, im vergangenen Jahr Angst gehabt zu haben, ihren Lebensstandard nicht halten zu können.
Basis der Untersuchung ist eine repräsentative Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung aus den Jahren 2020 und 2023, bei der jeweils über 4.000 Personen befragt wurden. Studienautorin Dorothee Spannagel betont, dass die Gruppe der Armen nicht nur größer geworden ist, sondern im Verhältnis zur gesellschaftlichen Mitte auch noch ärmer. Der Gini-Koeffizient, ein gängiger Indikator für Ungleichheit, stieg zwischen 2010 und 2021 von 0,282 auf 0,31, den höchsten Wert in diesem Zeitraum. Diese Auswertung basiert auf Einkommensdaten des sozio-oekonomischen Panels aus dem Jahr 2021.
Konkret lebten im Jahr 2021 17,8 Prozent der Bevölkerung in Deutschland in Armut, verglichen mit 14,2 Prozent im Jahr 2010. Die Armutsgrenze liegt bei 60 Prozent des mittleren Einkommens. Für einen Singlehaushalt bedeutet dies laut WSI maximal 1.350 Euro monatlich, für eine Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren 2.830 Euro.
Die Experten des WSI sehen einen direkten Zusammenhang zwischen den Zukunftssorgen der Bevölkerung und einem sinkenden Vertrauen in staatliche und politische Institutionen. Weniger als die Hälfte der von Armut betroffenen Menschen und derjenigen mit prekären Einkommen gaben an, dass die Demokratie in Deutschland gut funktioniert. Ein Fünftel äußerte geringes Vertrauen in das Rechtssystem. Viele Betroffene haben das Gefühl, mit ihren Anliegen nicht gehört zu werden.
Dorothee Spannagel spricht von einer „Teilhabekrise“, die sich in den letzten Jahren verschärft habe und dazu führe, dass sich ein Teil der Bevölkerung vom politischen System abwende. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, empfehlen die Autoren des Berichts die Stärkung verschiedener Institutionen, darunter Tarifverträge, die gesetzliche Rente und die öffentliche Infrastruktur in Bereichen wie Verkehr, Energie, Bildung und Gesundheit. Finanziert werden könnten diese Maßnahmen durch eine Reform der Schuldenbremse und eine effektivere Besteuerung großer Vermögen.
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