Der Druck auf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) steigt. Die Union fordert vehement die Stellung der Vertrauensfrage, um den Weg für Neuwahlen zu ebnen. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, wollen CDU-Chef Friedrich Merz und CSU-Chef Markus Söder am Mittwoch im Bundestag den Druck auf den Kanzler erhöhen. Söder wird als Bundesratsmitglied erstmals von seinem Rederecht im Bundestag Gebrauch machen. Regierungssprecher Steffen Hebestreit stellte jedoch klar, dass Scholz die Vertrauensfrage nicht bereits am Mittwoch stellen wird, obwohl an diesem Tag eine Regierungserklärung des Kanzlers geplant ist. Hebestreit betonte, Scholz werde den Termin notfalls allein festlegen.
Scholz hatte ursprünglich den 15. Januar als Termin für die Vertrauensfrage ins Spiel gebracht, zeigte sich zuletzt aber bereit, die Frage noch vor Weihnachten zu stellen. Der 18. Dezember ist eine mögliche Option. Wie die Süddeutsche Zeitung weiter berichtet, laufen derzeit Gespräche zwischen den Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz (Union) und Rolf Mützenich (SPD). Die SPD wünscht sich im Gegenzug die Zustimmung der Union für einige wichtige Projekte, darunter ein höheres Kindergeld, das Deutschlandticket, Entlastungen für die Industrie und den Schutz des Verfassungsgerichts. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) brachte angesichts der veränderten sicherheitspolitischen Lage nach dem Wahlsieg von Donald Trump in den USA und der Bedrohung durch Russland ein neues Sondervermögen für die Bundeswehr vor der Bundestagswahl ins Gespräch.
Die Unionsfraktion erklärte am Montag, dass Gespräche über noch zu behandelnde Themen im Bundestag erst beginnen könnten, wenn das Datum für die Vertrauensfrage feststehe. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier versucht, im Hintergrund zu vermitteln. Er lud neben Scholz und Merz auch SPD-Chef Lars Klingbeil und Robert Habeck zu Gesprächen ein. Am Dienstag traf er Mützenich, am Donnerstag ist ein Treffen mit CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt geplant. Angesichts der Sorgen in der Auto- und Stahlindustrie spricht Steinmeier auch mit dem BDI-Präsidenten Siegfried Russwurm. Die Industrie hofft auf Konjunkturhilfen, insbesondere bei den Energiekosten, noch vor einer Neuwahl. Steinmeier verschob wegen der innenpolitischen Lage eine dreitägige Reise nach Saudi-Arabien, die für Montag geplant war – ein äußerst seltener Vorgang.
Nach einer verlorenen Vertrauensfrage hat der Bundespräsident 21 Tage Zeit, um über die Auflösung des Bundestags zu entscheiden. Steinmeier deutete an, dass er mangels einer handlungsfähigen Regierung den Weg für Neuwahlen freimachen würde. Gemäß Artikel 39 des Grundgesetzes muss der Bundestag nach einer Auflösung innerhalb von 60 Tagen neu gewählt werden. Eine Bundestagswahl Ende Februar wäre eine Option, sollte die Vertrauensfrage in der letzten Sitzungswoche vor Weihnachten gestellt werden. Der 2. März ist Karnevalssonntag, was als problematisch gilt. Bei voller Ausschöpfung der Fristen wäre auch der 9. März möglich.
Sollte Scholz die Vertrauensfrage bereits Ende November oder Anfang Dezember stellen, wäre eine Neuwahl im Februar wahrscheinlich. Bundeswahlleiterin Ruth Brand warnte in einem Schreiben an den Kanzler vor „unabwägbaren Risiken“ bei einer überstürzten Neuwahl. Am Dienstag fand im Bundestag eine Sondersitzung des Wahlprüfungsausschusses statt. Die Ausschussvorsitzende Daniela Ludwig (CSU) betonte gegenüber der Süddeutschen Zeitung, dass die korrekte Durchführung vorgezogener Wahlen gewährleistet sein müsse.
Bei einer Neuwahl ist einiges im Eilverfahren zu erledigen: Die Parteien müssen Kandidaten nominieren und Listen aufstellen. Es wird viel Papier für die Wahlbenachrichtigungen an über 60 Millionen Bürger benötigt. Die Briefwahl beginnt bereits einen Monat vor dem Wahltermin. 2021 waren rund 650.000 Wahlhelfer im Einsatz. Brand wies zudem auf die Gefahr von Cyberangriffen hin.
SPD-Generalsekretär Matthias Miersch betonte, eine juristisch anfechtbare Wahl wäre Wasser auf die Mühlen der Demokratiefeinde. Kanzler Scholz ist offiziell noch nicht als Kanzlerkandidat der SPD nominiert. Erste Landespolitiker sprechen sich für Boris Pistorius aus. Dieser sagte beim SZ-Wirtschaftsgipfel: „Wir haben einen Bundeskanzler, und der ist der designierte Kanzlerkandidat.“ Auf die Frage, ob Scholz nach dem Ampel-Aus als Gescheiterter gelte, antwortete Miersch: „Nein, das sehe ich überhaupt nicht.“
Quellen:
- Süddeutsche Zeitung: https://www.sueddeutsche.de/politik/vertrauensfrage-union-will-mit-scholz-abrechnen-lux.2PwcwJdzKywfuLEnQHtAJ4
- Tagesschau: https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/scholz-vertrauensfrage-102.html
- Frankfurter Rundschau: https://www.fr.de/politik/scholz-tauschandel-fuer-vertrauensfrage-union-und-fdp-verweigern-93402792.html
- Neue Westfälische: https://www.nw.de/nachrichten/nachrichten/23979589_Scholz-lehnt-Vertrauensfrage-schon-am-Mittwoch-ab.html
- Der Standard: https://www.derstandard.de/consent/tcf/story/3000000244433/ampel-aus-scholz-lehnt-vertrauensfrage-schon-am-mittwoch-ab
- ZDF: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/kanzler-scholz-vertrauensfrage-noch-dieses-jahr-100.html