10.11.2024
Humanitäre Krise in Gaza Hilfslieferungen erreichen neuen Tiefstand

Israels Krieg in Gaza: Baerbock beklagt neuen Tiefstand von Hilfslieferungen

Die humanitäre Lage im Gazastreifen spitzt sich weiter zu. Wie Außenministerin Annalena Baerbock am Sonntag erklärte, haben die Hilfslieferungen im Oktober einen neuen Tiefstand erreicht. „Noch nie in den letzten zwölf Monaten kam so wenig Hilfe in den Gazastreifen wie jetzt“, wird Baerbock in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z.) vom 10.11.2024 zitiert. Die Versorgung der über zwei Millionen Einwohner mit lebenswichtigen Gütern sei dramatisch eingeschränkt. Ein Großteil der Bevölkerung leide unter akuter Mangelernährung und lebe unter unvorstellbaren Bedingungen. Tausende Kinder seien zu Waisen geworden und litten unter den traumatischen Erlebnissen des Krieges. „Weite Teile Gazas sind ein absolutes Trümmerfeld“, so Baerbock laut F.A.Z.. Gleichzeitig mahnte die Außenministerin Israel: „Israels Recht der Selbstverteidigung findet seine Grenze im humanitären Völkerrecht.“

Die Gründe für den Tiefstand der Hilfslieferungen sind vielschichtig. Während die israelische Regierung behauptet, es gebe keine Beschränkungen für die Versorgung der Zivilbevölkerung, berichten Hilfsorganisationen von zahlreichen Hürden, die ihre Arbeit nahezu unmöglich machen. Wie die F.A.Z. berichtet, beklagen UN-Mitarbeiter neben langwierigen und teils willkürlich erscheinenden Sicherheitskontrollen auch die Gefährdung durch bewaffnete Banden und Plünderer, insbesondere im Süden des Gazastreifens. Da Israel einen Großteil der Transporte nur über den Grenzübergang Kerem Schalom abwickelt und nur wenige Routen freigibt, sind die Hilfskonvois gezwungen, die von Banden kontrollierte Salah-ad-Din-Straße zu benutzen. Dort werden die Transporte, oft unter den Augen der israelischen Armee, ausgeraubt. Im Oktober verloren die UN auf dieser Strecke innerhalb einer Woche mehr als die Hälfte ihrer Ladungen durch Plünderungen. Die Nutzung der sicheren Militärstraße entlang des Sicherheitszaunes, der sogenannten „Fence Road“, ist für die Helfer kaum möglich.

Hilfsorganisationen fordern seit langem die Freigabe alternativer Routen und längere Öffnungszeiten, um ihre Arbeit zu ermöglichen. Auch die Absprachen mit der israelischen Zivilverwaltung und dem Militär gestalten sich laut Berichten kompliziert und langwierig. Baerbock fordert daher die „volle Kooperation aller Parteien mit den Vereinten Nationen und den Hilfsorganisationen, um verlässliche und sichere Routen für Hilfslieferungen und medizinische Evakuierungen zu schaffen“, so die F.A.Z..

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Blockade wichtiger Güter durch Israel. Wie UN-Mitarbeiter berichten, werden selbst Zelte und Schlafsäcke mit der Begründung blockiert, sie könnten auch militärisch genutzt werden. Baerbock betont die Dringlichkeit der Situation, insbesondere angesichts des nahenden Winters: „Vor dem Winter ist nichts dringlicher, als dass die Geiseln endlich freikommen und die Hilfsgüter zum Überleben – Nahrungsmittel, Wasser, Medizin, Hygieneartikel, Zelte – die Menschen in Gaza endlich erreichen. Dafür braucht es die Öffnung aller Grenzübergänge nach Gaza für humanitäre Hilfe.“

Obwohl die Zahl der Hilfslieferungen in den ersten Novembertagen wieder leicht angestiegen ist, sind die gelieferten Mengen weit entfernt von den 500 Lastwagenladungen täglich, die internationale Experten für notwendig erachten.

Besonders besorgniserregend ist die Lage im Norden des Gazastreifens. Dort hat Israel Anfang Oktober seine Militäroperationen intensiviert, Evakuierungsaufrufe erlassen und Hilfslieferungen weitgehend unterbunden. Es gibt Spekulationen, dass die Armee den sogenannten „Plan der Generäle“ umsetzt, der die vollständige Entvölkerung des Nordens des Gazastreifens vorsieht. Dieser Plan, der auf den pensionierten Generalmajor Giora Eiland zurückgeht, sieht die Blockade aller Hilfslieferungen und die Einstufung von Palästinensern, die den Evakuierungsaufrufen nicht folgen, als Kombattanten vor. Völkerrechtlich ist der Einsatz von Hunger als Waffe ein Kriegsverbrechen. Während Eiland argumentiert, die totale Belagerung sei der beste Weg, zivile Opfer zu vermeiden, weisen Beobachter darauf hin, dass viele Einwohner im zerstörten Gazastreifen keine andere Zuflucht finden und befürchten, nach einer Evakuierung nicht mehr zurückkehren zu können.

Die israelische Armee bestreitet die Existenz solcher Pläne. Dennoch wird Einwohnern einiger Gebiete nördlich von Gaza-Stadt die Rückkehr verwehrt, obwohl die Kämpfe dort abgeflaut zu sein scheinen. Die israelische Zeitung Haaretz zitierte kürzlich eine Militärquelle mit den Worten, es werde für die Zivilisten keine „Rückkehr in den Norden“ geben. Baerbocks Aussage, Israels Recht auf Selbstverteidigung finde seine Grenze im humanitären Völkerrecht, und ihre Forderung nach uneingeschränktem humanitärem Zugang, der nicht als Mittel der Kriegsführung eingesetzt werden darf, deuten darauf hin, dass auch die Bundesregierung die Vorwürfe gegen Israel nicht für völlig unplausibel hält.

Wie aus Berliner Diplomatenkreisen verlautet, hat Baerbock bei ihren Reisen in die Region und Gesprächen zum Krieg immer wieder die Hilfslieferungen bis ins Detail thematisiert. Sie habe sich auch mit ihrem amerikanischen Amtskollegen Antony Blinken abgestimmt und enge Absprachen mit Großbritannien getroffen. Trotz wiederholter Zusagen seien diese oft nicht eingehalten worden. „Aufgrund unseres massiven Drängens und der Anordnung des Internationalen Gerichtshofs wollte die israelische Regierung Gaza im Frühjahr ,mit humanitärer Hilfe fluten’“, wird Baerbock zitiert. „Das muss kommen, ohne Ausreden. Daran muss sich – trotz all der schwierigen Abwägungen und Dilemmata – die israelische Regierung messen lassen.“

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