Die Ampelregierung plant, das Gesetz zur Sicherung der Lieferkette (LkSG) abzuschaffen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte an, dass das in der Wirtschaft umstrittene Gesetz „noch in diesem Jahr“ abgeschafft werden soll. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) plant sogar, das erst Anfang 2023 in Kraft getretene Gesetz abzuschaffen, wie die F.A.Z. berichtete. Grund für die Eile der Regierung ist die geplante Einführung neuer EU-Regeln zum Schutz von Menschenrechten in Lieferketten, die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD). Für die nationale Umsetzung der Richtlinie bleiben nur noch knapp zwei Jahre Zeit.
Die neue EU-Richtlinie erhöht den Druck auf die Compliance- und Einkaufsabteilungen internationaler Unternehmen. Eine aktuelle Umfrage des Münchner Cloudsoftware-Anbieters EQS Group und der Hochschule Ansbach unter europäischen Unternehmen zeigt, dass viele Firmen kritische Lücken in der Transparenz ihrer Lieferketten aufweisen. Die Unternehmen geben an, die aktuellen gesetzlichen Anforderungen aufgrund fehlender Fachkräfte kaum erfüllen zu können.
Die im Sommer 2024 durchgeführte Umfrage zeigt, dass Personalmangel die größte Hürde bei der Umsetzung des LkSG ist. 89 Prozent der befragten Unternehmen nannten dies als Problem, ein deutlicher Anstieg im Vergleich zum Vorjahr (60 Prozent). Aktuell sind in den meisten Unternehmen zwischen ein und fünf Mitarbeiter aus den Bereichen Compliance, Recht und Einkauf mit der Umsetzung des Gesetzes betraut.
Positiv ist, dass 87 Prozent der befragten Unternehmen bereits ein Risikomanagement für potentielle Verstöße gegen Menschen- und Umweltrechtsverstöße in ihrer Organisationsstruktur verankert haben. „Viele Unternehmen haben ihre unmittelbaren Lieferanten bereits gut im Blick, jedoch steigt die Unsicherheit bei den weiter entfernten Gliedern der Lieferkette deutlich. Diese Einschätzung ist nachvollziehbar, verdeutlicht aber auch den steigenden Handlungsbedarf“, erklärte Studienautorin Stefanie Fehr von der Hochschule Ansbach.
„Unternehmen sehen die Komplexität globaler Lieferketten vor allem als Hürde, aber sie birgt auch enormes Potential für den Aufbau nachhaltiger Strukturen“, sagte Achim Weick, Gründer und Vorstandsvorsitzender von EQS. Das Lieferkettengesetz biete als Vorbereitung auf die kommende Richtlinie die Gelegenheit, nicht nur gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden, sondern auch das Vertrauen von Geschäftspartnern und Kunden zu festigen.
Für die Erhebung haben die Professorin für Compliance und Datenschutz sowie EQS die Daten einer repräsentativen Umfrage unter mehr als 400 Unternehmen aus sieben EU-Staaten verwendet. Fehr hält eine gezielte und effiziente Ressourcennutzung für entscheidend, um die Anforderungen sowohl des Lieferkettengesetzes als auch der europäischen Richtlinie CSDDD erfolgreich zu bewältigen und unvorhergesehene Risiken frühzeitig zu adressieren.
Mit Blick auf das EU-Gesetz, das über die Anforderungen des LkSG hinausgeht und die rechtlichen Rahmenbedingungen verschärft, beklagen Unternehmen eine unzureichende Ressourcenausstattung. Zum Zeitpunkt der Umfrage im Frühsommer 2024 hatten sich 57 Prozent der deutschen Unternehmen mit der CSDDD auseinandergesetzt, obwohl diese zu diesem Zeitpunkt noch nicht veröffentlicht war. Ihre Rückmeldungen zeigen, wie groß die Unsicherheit ist.
Die überwiegende Mehrheit von 84 Prozent der Befragten geht davon aus, dass das kommende EU-Lieferkettengesetz ihre Organisation vor erhebliche Herausforderungen stellen wird. Als gravierendste Hindernisse wurden neben einem Mangel an qualifiziertem Personal auch unzureichende finanzielle Mittel und IT-Ressourcen sowie die hohen bürokratischen Anforderungen seitens der Unternehmen angeführt. 72 Prozent der Umfrageteilnehmer gaben an, dass ihr Unternehmen in den kommenden zwei Jahren keine zusätzlichen Mittel zur Verfügung stellen wird. Eine deutliche Zurückhaltung gibt es zudem bei der Einstellung von neuem Personal (17 Prozent) sowie beim Zukauf von digitalen Compliance-Programmen. „Wer jetzt in Transparenz und Verantwortung investiert, schafft sich langfristig einen Wettbewerbsvorteil“, ist Compliance-Fachmann Weick überzeugt. „Dafür müssten Unternehmen aber weitere Investitionen tätigen, um personelle Engpässe ausgleichen zu können, etwa durch digitale Lösungen.“
Obwohl die Umsetzung der Lieferkettengesetze mit Herausforderungen verbunden ist, erkennen die Betriebe auch Chancen. Fast jedes zweite Unternehmen sieht darin eine Möglichkeit, das Verantwortungsbewusstsein in seinen Wertschöpfungsketten zu stärken. 30 Prozent der Unternehmen erhoffen sich Vorteile bei der Vergabe von Aufträgen, während für 28 Prozent der Betriebe das eigene Reputationsmanagement im Vordergrund steht.
Quelle: F.A.Z.
Auch der Verband deutscher Unternehmerinnen (VdU) äußerte sich besorgt über die Auswirkungen des EU-Lieferkettengesetzes, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU). In einer Pressemitteilung vom 12.05.2022 betonte der VdU, dass die Abwälzung der gesetzlichen Verpflichtungen auf KMUs, die eigentlich nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen, verhindert werden müsse. Viele KMUs seien als Zulieferer Teil der Lieferkette und sähen sich mit bürokratischen Belastungen und Unsicherheiten konfrontiert. Die Unternehmen müssten beispielsweise durch die Beantwortung umfassender Fragebögen die Einhaltung der Sorgfaltspflichten nachweisen, was einen erheblichen Aufwand bedeute. Der VdU forderte daher eine praxistaugliche und rechtssichere Regelung, die die Belange von KMUs berücksichtigt.
In einem Statement vom 02.02.2024 bekräftigte der VdU seine Position und begrüßte die Entscheidung der Bundesregierung, sich bei der Abstimmung zum EU-Lieferkettengesetz zu enthalten. Der Verband betonte erneut die Notwendigkeit einer maßvollen und praxistauglichen Regelung, die Unternehmen nicht überfordere. Die Erfahrungen mit dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz hätten gezeigt, dass die Pflichten häufig in Form von "Code of Conducts" oder Regressklauseln an Lieferanten, insbesondere KMUs, weitergegeben würden, obwohl dies gesetzlich nicht vorgesehen sei. Der VdU forderte daher erneut, die Belange von KMUs bei der Umsetzung des EU-Lieferkettengesetzes zu berücksichtigen.
Die Belastung durch Bürokratie ist nicht nur für große Unternehmen, sondern auch für Start-ups ein wichtiges Thema, wie ein Bericht von MDR Aktuell vom 21. August 2024 zeigt. Besonders die kleinschrittigen Prozesse in Papierform werden als belastend empfunden. So berichtete Johanna Bröll, Gründerin des Start-ups Carbonsate, von ihren Erfahrungen mit der deutschen Bürokratie. Oftmals würden Unterschriften von beiden Geschäftsführern verlangt, was den Prozess aufgrund unterschiedlicher Standorte und häufiger Reisen erheblich verlangsame.
Auch die Anerkennung von Berufsqualifikationen von Migranten gestaltet sich oft schwierig, wie Anna Sauter-Getschmann vom Leipziger Start-up "Akademie für Klimajobs" berichtete. Für die Zertifizierung der Teilnehmer des achtmonatigen Trainings zum Elektrofachkraft für Erneuerbare Energien sei eine abgeschlossene Ausbildung erforderlich. Fehlende Dokumente oder Ausbildungsnachweise stellten für viele Migranten jedoch ein großes Hindernis dar. Sauter-Getschmann plädierte für mehr Pragmatismus und eine effizientere Gestaltung der Prozesse.
Maik Außendorf von den Grünen, Berichterstatter für Bürokratieabbau im Wirtschaftsausschuss des Bundestags, räumte ein, dass die deutsche Bürokratie häufig zu komplex und wenig digitalisiert sei. Er verwies jedoch auf die Bemühungen der Bundesregierung, den Bürokratieabbau voranzutreiben. So soll beispielsweise das Schriftformerfordernis abgeschafft werden, wodurch in der Regel die digitale Unterschrift ausreichend sein soll.
Eine bundesweite Umfrage des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall unter rund 900 Unternehmen der Metall- und Elektro-Industrie im Oktober 2023 ergab, dass 86 Prozent der Unternehmen sich „stark“ oder „sehr stark“ durch Bürokratie belastet fühlten. 95 Prozent der Befragten gaben an, dass die Belastungen in den vergangenen fünf Jahren gestiegen seien. 63 Prozent der Unternehmen gaben an, aufgrund der Bürokratie auf Investitionen zu verzichten, 48 Prozent investierten vermehrt im Ausland. Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander forderte die Politik auf, den Bürokratieabbau zur Chefsache zu machen, um die Attraktivität des Standorts Deutschland zu sichern.