27.10.2024
Spaniens Hochgeschwindigkeitsbahn Auf der Überholspur der Probleme

Spanien war einst bekannt für sein effizientes und pünktliches Hochgeschwindigkeitsbahnnetz, das zweitgrößte der Welt. Doch in letzter Zeit mehren sich die Probleme, die das System an seine Grenzen bringen und für ungewohntes Chaos sorgen. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.) berichtet, fühlen sich spanische Bahnreisende zunehmend an die Situation in Deutschland erinnert.

Ein Beispiel für die jüngsten Schwierigkeiten ereignete sich im August 2024, als ein vollbesetzter Schnellzug in einem Tunnel unter Madrid stecken blieb. Der Zug fiel komplett aus, sodass Fahrgäste in der Hitze ohne Licht und Klimaanlage ausharren mussten und schließlich die Fenster mit einem Nothammer einschlugen. Ein ähnlicher Vorfall ereignete sich erst kürzlich, als ein defekter Zug im gleichen Tunnel auf einen voll besetzten Zug zusteuerte und in letzter Sekunde durch einen Fahrdienstleiter zum Entgleisen gebracht werden musste.

Die spanische Zeitung „El Mundo“ spricht von einer „Explosion der Vorfälle“ und rechnet vor, dass sich die Zahl der Züge, die mehr als 15 Minuten Verspätung haben, seit 2019 versechsfacht hat. Das 3800 Kilometer lange Netz, das 1992 mit der Expo in Sevilla in Betrieb genommen wurde, scheint mit der aktuellen Belastung nicht mehr zurechtzukommen.

Mehrere Faktoren tragen zu dieser Situation bei. Zum einen hat die Liberalisierung des spanischen Eisenbahnmarktes im Jahr 2021 zu einem Anstieg des Wettbewerbs geführt. Neben der staatlichen Bahngesellschaft Renfe verkehren nun auch die „Roten Pfeile“ des italienisch-spanischen Gemeinschaftsunternehmens Iryo und die doppelstöckigen TGVs von Ouigo, einer Tochtergesellschaft der französischen Staatsbahn SNCF, auf den spanischen Hochgeschwindigkeitsstrecken.

Dieser Wettbewerb hat zwar zu niedrigeren Preisen und einem Anstieg der Fahrgastzahlen geführt – laut der Wettbewerbsaufsicht CNMC nutzten im Jahr 2023 über 32 Millionen Reisende die Hochgeschwindigkeitszüge – bedeutet aber gleichzeitig auch eine höhere Belastung für das in die Jahre gekommene Streckennetz.

„Es kommen mehrere Ursachen zusammen“, erklärt Julio Gómez-Pomar, ehemaliger Staatssekretär und Renfe-Chef, gegenüber der F.A.Z.. „Gleichzeitig wird unter hohem Zeitdruck viel gebaut, und es ist zu wenig in den Erhalt der Infrastruktur investiert worden“.

Tatsächlich werden zwar bis 2026 Mittel aus dem Covid-Wiederaufbaufonds in den Umbau der Bahnhöfe Atocha und ­Chamartín in Madrid sowie in die Modernisierung mehrerer Streckenabschnitte fließen, doch Experten bezweifeln, dass dies ausreicht, um das Netz fit für die Zukunft zu machen.

Ein weiteres Problem ist die veraltete Flotte der Renfe. Die Finanzkrise 2008 führte zu einem Investitionsstopp, sodass viele Züge heute 40 Jahre und älter sind. Dies führt zu einer höheren Störanfälligkeit und einem erhöhten Wartungsaufwand. Laut Medienberichten sind derzeit bis zu 20 Prozent der Renfe-Flotte aufgrund von Modernisierungs- und Wartungsarbeiten nicht im Einsatz.

Obwohl der neue Hochgeschwindigkeitszug des Typs S 106 des spanischen Herstellers Talgo eigentlich für Entlastung sorgen sollte, kam es auch hier zu Problemen. Der Zug wurde mit mehrjähriger Verspätung in Betrieb genommen und musste zwischen Mai und Ende September bereits 500 Mal wegen technischer Probleme außerplanmäßig abgestellt werden.

Um die spanische Bahn wieder auf Vordermann zu bringen, sind laut Schätzungen Infrastrukturinvestitionen von zwölf Milliarden Euro und mehr als 400 neue Züge nötig.

Die jüngsten Rückschläge haben jedoch auch zu einem Umdenken bei der Renfe geführt. So wurde die Großzügigkeit bei der Entschädigung von Fahrgästen bei Verspätungen deutlich reduziert. Während früher bereits ab einer Verspätung von 30 Minuten der volle Fahrpreis erstattet wurde, sind es heute 90 Minuten.

Dennoch: Der Traum vom schnellen Reisen auf der Schiene ist in Spanien noch nicht ausgeträumt. Derzeit sind 800 Kilometer neuer Hochgeschwindigkeitsstrecken in Bau. Bis zur Fußballweltmeisterschaft 2030, die Spanien, Portugal und Marokko gemeinsam ausrichten wollen, sollen Fans dann auch per Hochgeschwindigkeitszug zwischen Madrid und Lissabon reisen können.

Quelle: F.A.Z.

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