Lange galten Faszien als reine Muskelverpackung. Doch die Forschung der letzten Jahre, wie im Artikel der Zeit vom 31. Oktober 2024 berichtet, zeigt, dass ihnen eine weit wichtigere Rolle zukommt. Sie beeinflussen Beweglichkeit, Stabilität und Schmerzempfinden – und spielen sogar beim Muskelkater eine entscheidende Rolle.
Dieses feine, netzartige Gewebe, das den gesamten Körper durchzieht, ist nur wenige Millimeter dünn. Wie die Zeit berichtet, erkannte man erst kürzlich die Bedeutung der Faszien für Rückenschmerzen, Sportverletzungen und die allgemeine Biomechanik.
Der Sportwissenschaftler und Faszienforscher Jan Wilke von der Universität Bayreuth betont die sensorische Bedeutung der Faszien. Wie die dpa berichtet, enthalten sie Propriozeptoren, die Informationen über Bewegung, Druck und Spannung weiterleiten. Darüber hinaus sind Faszien, laut Wilke, wahrscheinlich schmerzempfindlicher als Muskeln. Diese Aussage wird durch verschiedene Studien untermauert, darunter eine im Fachjournal "Pain" veröffentlichte Arbeit aus dem Jahr 2013. Diese Studie zeigte, dass Injektionen schmerzauslösender Substanzen in die Faszie als unangenehmer empfunden werden als in den Muskel. Wilke vermutet daher, dass unspezifische Rückenschmerzen ihre Ursache in Problemen des Fasziengewebes haben könnten.
Auch die Entstehung von Muskelkater wird durch die Faszienforschung neu bewertet. Anstatt Mikroverletzungen im Muskelgewebe, könnte eine Verdickung und Versteifung der Faszien der Auslöser sein. Wilke schlägt daher den Begriff "Faszienkater" vor, wie unter anderem GEO berichtet.
Neben ihrer sensorischen Funktion spielen Faszien eine wichtige mechanische Rolle. Sie umschließen nicht nur die Muskeln, sondern verbinden sie auch zu einem komplexen Netzwerk. Eine japanische Studie aus dem Jahr 2023, veröffentlicht im "Journal of Ultrasound", zeigte, dass Muskeln ohne Faszien bis zu 50 Prozent ihrer Spannung verlieren. Dies verdeutlicht die Bedeutung der Faszien für die Körperstabilität. Kanadische Modellierungen von Ibrahim El Bojairami und Mark Driscoll deuten darauf hin, dass die passive Stabilität der Lendenwirbelsäule ebenso stark von der Rückenfaszie wie von der aktiven Muskelanspannung beeinflusst wird.
Besonders die Verbindungen zwischen den Muskeln, die durch die Faszien geschaffen werden, sind für Wilke von Interesse. Diese könnten Zusammenhänge erklären, die bisher rätselhaft waren. So könnten beispielsweise Schmerzen an der Fußsohle bei Läufern mit Verhärtungen am hinteren Oberschenkel zusammenhängen. Da Muskeln über Faszien teilweise von Kopf bis Fuß verbunden sind, könnten Probleme an einer Körperstelle Wochen später an einer anderen Stelle Beschwerden verursachen. Wilke konnte diese Kraftübertragung über Faszienketten 2020 in einer Studie im Fachblatt "Frontiers in Physiology" nachweisen.
Mit zunehmendem Alter verändert sich das Fasziengewebe. Die enthaltene Hyaluronsäure, die als Schmiermittel zwischen den Faszienschichten fungiert, wird durch Bewegung flüssiger und ermöglicht so ein reibungsloses Gleiten. Dies ist essentiell für den Erhalt der Beweglichkeit. Eine Studie aus dem Jahr 2011, veröffentlicht in "BMC Musculoskeletal Disorders", zeigte, dass diese Gleitfähigkeit bei Rückenschmerzpatienten oft eingeschränkt ist, was die Schmerzen verstärken kann. Der Aufbau der Faszien aus mehreren Schichten mit Hyaluronsäure dazwischen ist für dieses komplexe Zusammenspiel entscheidend.
Ein isoliertes Faszientraining ist laut Wilke nicht möglich, da immer ein Muskel-Faszien-Komplex trainiert wird. Multidirektionale, dynamisch-federnde Bewegungen sind jedoch besonders förderlich für die Faszien. Vor allem Menschen mit Bewegungsmangel sollten ihre Faszien durch vielfältige Bewegungen stimulieren. Hartschaumrollen können hilfreich sein, sollten aber nicht übermäßig eingesetzt werden. Neuere Forschungen deuten darauf hin, dass sanftere Bewegungen ausreichen können, um Schmerzen zu lindern.
Die Grundlagenforschung zu Faszien ist weit fortgeschritten, es fehlen jedoch noch ausreichend hochwertige Interventionsstudien. Die bisherigen Erkenntnisse zeigen jedoch die Bedeutung der Faszien für das Wohlbefinden. Sie sind weit mehr als nur Hüllgewebe, sondern ein hochsensibles, mechanisch wichtiges und potenziell schmerzauslösendes Gewebe, dem in Medizin und Sport mehr Beachtung geschenkt werden sollte.
Quellen:
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