September 7, 2024
Die finnische Serie „Seconds“: Eine kritische Betrachtung von Mensch und System
Die finnische Serie „Seconds“: Kein System ist perfekt

Die finnische Serie „Seconds“: Kein System ist perfekt

Die finnische Serie „Seconds“ hat sich in der Medienlandschaft als bemerkenswerter Beitrag etabliert, der sich mit den komplexen Themen von Unglücken und deren Ursachen auseinandersetzt. In einem Sechsteiler untersucht eine staatliche Behörde die Hintergründe eines verheerenden Zugunglücks, das nicht nur die betroffene Gemeinde erschüttert, sondern auch tiefere Fragen über menschliches Versagen und Systemfehler aufwirft. Die Erzählweise ist typisch nordisch, geprägt von einer sensiblen und atmosphärisch dichten Darstellung, die in der deutschen Fernsehlandschaft selten zu finden ist.

Ein Blick auf die Handlung

Die Geschichte beginnt mit einem schrecklichen Vorfall: Ein Personenzug gerät am Bahnhof einer kleinen Stadt in Brand, was zu einem tragischen Verlust von Menschenleben führt. Die Ermittlerin Marita Kaila, gespielt von Leena Pöysti, wird mit der Aufgabe betraut, die Ursachen dieses Unglücks zu ergründen. Bei ihrem Eintreffen am Tatort sieht sie nur die verkohlten Überreste des Zuges und die Zerstörung, die das Feuer hinterlassen hat. Die Zahl der Opfer ist erschütternd: Fünfundfünfzig Tote, die später auf vierundsechzig ansteigt, da einige der Schwerverletzten die Nacht nicht überstehen.

Charaktere und deren Entwicklung

Marita Kaila ist eine komplexe Figur, die nicht nur mit den äußeren Umständen des Unglücks, sondern auch mit ihren eigenen inneren Dämonen zu kämpfen hat. Ihre Ermittlungen werden durch Rückblenden und innere Dialoge ergänzt, die dem Zuschauer einen Einblick in ihr persönliches Trauma geben. Diese Erzähltechnik erinnert an die britische Serie „River“, in der der Protagonist ebenfalls mit dem Verlust einer geliebten Person kämpft. Maritas Gespräche mit einer imaginären Freundin, die in Wirklichkeit ihre verstorbene Schwester ist, fügen der Handlung eine emotionale Tiefe hinzu, die die Zuschauer fesselt.

Die Ermittlung und ihre Herausforderungen

Die Ermittlungen selbst sind alles andere als geradlinig. Marita und ihr Team, zu dem auch der unerfahrene Daniel (Mikko Kauppila) gehört, müssen sich mit verschiedenen Hypothesen auseinandersetzen. Neben der Möglichkeit eines technischen Versagens des neuen Computersystems, das zur Steuerung des Zuges eingesetzt wurde, werden auch Brandstiftung und terroristische Anschläge als mögliche Ursachen in Betracht gezogen. Diese Unsicherheiten spiegeln die Fragilität der Systeme wider, auf die sich die Gesellschaft verlässt.

Gesellschaftliche Implikationen

„Seconds“ thematisiert nicht nur das individuelle Trauma der Charaktere, sondern auch die gesellschaftlichen Implikationen von Unglücken. Die politische Dimension wird durch die Figur der Verkehrsministerin Jutta Wessmann (Lotta Kaihua) deutlich, die sich in einer prekären Lage befindet, da ihre Karriere von den Ergebnissen der Ermittlungen abhängt. Dies führt zu einem Spannungsfeld zwischen persönlicher Verantwortung und öffentlichem Druck, das in der Serie geschickt ausgearbeitet wird.

Der Stil der Erzählung

Die Serie zeichnet sich durch ihren leisen, aber eindringlichen Erzählstil aus. Die Schöpfer Roope Lehtinen, Mikko Pöllä und Laura Suhonen verwenden eine Vielzahl von filmischen Techniken, um die emotionale Tiefe der Charaktere und die Schwere des Themas zu vermitteln. Rückblenden, die während der Zeugenbefragungen eingesetzt werden, lassen die Zuschauer die Ereignisse der Unglücksnacht durch die Augen der Beteiligten erleben. Diese narrative Struktur fördert das Mitgefühl und das Verständnis für die Komplexität der Situation.

Fazit

„Seconds“ ist mehr als nur eine Krimiserie; sie ist eine tiefgründige Auseinandersetzung mit den Themen Verlust, Verantwortung und der Fragilität menschlicher Systeme. Die Serie lädt die Zuschauer ein, über die Grenzen des Vertrauten hinauszudenken und die Realität zu hinterfragen, in der sie leben. In einer Zeit, in der das Vertrauen in technische Systeme und Institutionen oft erschüttert wird, bietet „Seconds“ eine wertvolle Perspektive auf die menschlichen Geschichten, die hinter den Schlagzeilen stehen.

Die Serie ist in der ARD Mediathek verfügbar und bietet eine fesselnde Möglichkeit, sich mit den komplexen Themen auseinanderzusetzen, die in der heutigen Gesellschaft von Bedeutung sind.

Quelle: F.A.Z. – Matthias Hannemann, „Die finnische Serie „Seconds“: Kein System ist perfekt“

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