19.10.2024
Vermächtnis und Verantwortung Deutschlands Die Debatte um die Lehren aus dem Holocaust

Mehrere glückliche Zufälle haben mich davor bewahrt, studieren zu müssen, aber wäre ein Studium unvermeidbar gewesen, hätte ich Geschichte gewählt und mich auf die Zeit von 1848 bis 1945 in Deutschland spezialisiert. Ich bin besessen davon und neige dazu, meinen Großvater und Adolf Hitler dafür verantwortlich zu machen, in dieser Reihenfolge. So beginnt Michael Martens seinen Artikel „Deutsche Geschichte und Israel: Die richtigen Lehren?“ in der FAZ vom 13.10.2024. Martens, Enkel eines hohen Wehrmachtsoffiziers, beschreibt darin den inneren Zwiespalt, der ihn angesichts der Vergangenheit seiner Familie und der Geschichte Deutschlands im Verhältnis zu Israel begleitet.

Die Beschäftigung mit der deutschen Vergangenheit und dem Holocaust ist für viele Menschen in Deutschland ein zentrales Thema. Die Schuld und Verantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus lasten schwer auf der deutschen Identität.

Doch wie geht man mit dieser Last um? Wie lässt sich aus der Geschichte lernen, ohne in eine Spirale der Schuldgefühle zu geraten? Und welche Lehren lassen sich aus dem Holocaust für die Gegenwart, insbesondere für den Umgang mit dem Nahostkonflikt, ziehen?

Die Frage nach den „richtigen Lehren“ aus dem Holocaust ist komplex und wird kontrovers diskutiert. Einigkeit besteht darin, dass Antisemitismus in jeder Form bekämpft werden muss und dass die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus wachgehalten werden muss.

Schwieriger wird es bei der Frage, welche politischen Schlussfolgerungen aus dem Holocaust gezogen werden sollten.

Einige argumentieren, dass die deutsche Geschichte zu einer besonderen Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel führe. Diese Verantwortung verpflichte Deutschland dazu, Israels Politik bedingungslos zu unterstützen, auch wenn diese im Widerspruch zu menschenrechtlichen Prinzipien stehe.

Andere warnen davor, den Holocaust zu instrumentalisieren, um Kritik an der israelischen Regierung zu unterdrücken. Sie betonen, dass die Lehren aus dem Holocaust universell seien und für alle Menschen gelten. Dazu gehöre auch die Verteidigung der Menschenrechte und des Völkerrechts, unabhängig davon, wer diese verletze.

Die Instrumentalisierung des Holocaust für politische Zwecke ist gefährlich. Sie birgt die Gefahr, dass die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus für aktuelle politische Auseinandersetzungen missbraucht wird.

Stattdessen sollte der Holocaust Mahnung sein, für eine gerechtere und friedlichere Welt einzutreten, in der Menschenrechte und Völkerrecht geachtet werden.

Die Debatte um die „richtigen Lehren“ aus dem Holocaust ist wichtig und notwendig. Sie darf nicht tabuisiert werden. Nur durch eine offene und kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte kann es gelingen, die richtigen Schlüsse für die Gegenwart zu ziehen.

Die Geschichte darf sich nicht wiederholen. Das ist die wichtigste Lehre aus dem Holocaust.

Quellen:

  • Martens, Michael: Deutsche Geschichte und Israel: Die richtigen Lehren? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.10.2024.
  • Confino, Alon: Die falschen Lehren aus dem Holocaust. In: Geschichte der Gegenwart, 15.03.2023.
  • Schnabel, Deborah / Berendsen, Eva: Süßigkeiten zur Feier des Terrors. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.10.2024.
  • Bax, Daniel: Was heißt „Nie wieder“? In: Die Tageszeitung, 13.11.2023.
  • Holocaust-Pädagogik im Schatten der Kriege. In: Bundeszentrale für politische Bildung, 30.09.2024.
  • Scheidler, Fabian: Deutsche Israel-Politik: Die falschen Lehren aus der Vergangenheit. In: Berliner Zeitung, 22.04.2024.
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