12.11.2024
Wissenschaft und Demokratie: Ein untrennbares Schicksal

Zuerst die Demokratie schützen, dann die Wissenschaft

Die aktuelle Weltlage, geprägt von internationalen Krisen und politischen Umbrüchen, wirft die Frage nach der Rolle und dem Schutz der Wissenschaft auf. Wie kann Forschung in Zeiten von Krieg und gesellschaftlicher Polarisierung ihre Unabhängigkeit bewahren und ihren Beitrag zu einer stabilen Zukunft leisten? Diese Frage steht im Zentrum der aktuellen Debatte.

In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom 12.11.2024 betonte Maria Leptin, Präsidentin des Europäischen Forschungsrats (ERC), die Bedeutung der grundlagenorientierten Forschung. Gerade die ungerichtete Forschung, die ohne konkretes Anwendungsziel betrieben wird, könne unerwartete Lösungen für zukünftige Herausforderungen liefern. Wie die FAZ berichtet, argumentiert Leptin, dass die Wissenschaft durch ihre Offenheit für neue Erkenntnisse und ihre Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge zu analysieren, gerade in Krisenzeiten eine wichtige Rolle spielt.

Die Diskussion um den Schutz der Wissenschaft ist eng mit der Frage nach dem Zustand der Demokratie verknüpft. Wie Daniel Ziblatt, Harvard-Professor und Direktor der Abteilung "Transformationen der Demokratie" am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, in einem Interview mit Forschung & Lehre erläutert, gibt es verschiedene Indikatoren für die Aushöhlung demokratischer Strukturen. Dazu gehören die Nichtanerkennung von Wahlergebnissen, Angriffe auf die Bürgerrechte der Opposition und die zunehmende gesellschaftliche Spaltung. Ziblatt sieht einen Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen Problemen, zunehmender gesellschaftlicher Heterogenität und dem Aufstieg neuer Technologien, der Demagogen den Weg zur Macht ebnen kann.

Ziblatt betont die Rolle der Zivilgesellschaft, religiöser Führer, Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände und insbesondere der Wissenschaft im Kampf gegen antidemokratische Tendenzen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollten sich öffentlich zu Themen äußern, die weitreichende Auswirkungen haben, wie die Wissenschaftsfreiheit und die Demokratie selbst. Gleichzeitig sei es wichtig, in der Forschung wertneutral zu bleiben und Fragen zu stellen, die von dem Versuch geleitet sind, gemeinsame Probleme zu lösen. Wie Forschung & Lehre berichtet, sieht Ziblatt die Wissenschaft als wichtigen Pfeiler einer funktionierenden Demokratie.

Die Bedeutung der Wissenschaftsfreiheit für die offene Gesellschaft wird auch in einem Artikel auf der Webseite der Heinrich-Böll-Stiftung hervorgehoben. Die Autorinnen und Autoren argumentieren, dass die Wissenschaft ein Gradmesser für eine freiheitliche Gesellschaft sei und betonen die Notwendigkeit, die Grundlagen der Wissenschaftsfreiheit zu stärken. Dazu gehören Bildung, die zu Selbstständigkeit und Freiheit befähigt, sowie ein breiter gesellschaftlicher Diskurs. Der Artikel unterstreicht die Bedeutung des "March for Science" als Beispiel für das Engagement der Wissenschaft für Pluralität, Weltoffenheit und Toleranz.

Die Verteidigung der Demokratie ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ein Gastbeitrag auf jmwiarda.de unterstreicht die Notwendigkeit eines starken Berufsverbandes für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, der ihre Interessen unabhängig vom Beschäftigungsstatus vertritt. Der Beitrag kritisiert die einseitige Positionierung des Deutschen Hochschulverbands (DHV) im Zusammenhang mit dem Netzwerk Wissenschaftsfreiheit und fordert eine kritische Auseinandersetzung mit rechtsextremen Tendenzen innerhalb der Wissenschaft. Die Autorinnen und Autoren mahnen an die Verantwortung der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer, sich aktiv für den Schutz der Demokratie einzusetzen.

Amrei Bahr, Autorin des Newsletters "Arbeit in der Wissenschaft", betont ebenfalls die Bedeutung der Demokratie für die Wissenschaft und umgekehrt. Sie argumentiert, dass gute Wissenschaft Vielfalt brauche und dass die Gefährdung der Demokratie auch die Grundfesten des Wissenschaftssystems bedrohe. Gleichzeitig brauche die Demokratie die Wissenschaft als unabhängige Stimme im gesellschaftlichen Gesamtgefüge, um evidenzbasierte Politik zu ermöglichen. Bahr ruft die Wissenschaftscommunity dazu auf, sich lautstark für den Erhalt und die Stärkung der Demokratie einzusetzen.

Die aktuelle Debatte zeigt, dass der Schutz der Wissenschaft und der Schutz der Demokratie untrennbar miteinander verbunden sind. Nur in einer freien und demokratischen Gesellschaft kann die Wissenschaft ihr volles Potenzial entfalten und ihren Beitrag zur Lösung drängender gesellschaftlicher Herausforderungen leisten.

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