Eine Studie des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel legt nahe, dass linke und rechte Parteien bei der nächsten Bundestagswahl aufgrund der unerwartet hohen Inflation und der schwierigen Wirtschaftslage Stimmen gewinnen könnten. Wie ZEIT ONLINE am 4. Dezember 2024 berichtete, erklärte Jonathan Federle, Co-Autor der Studie und IfW-Forscher, dass Inflation und Wachstum in den letzten drei Jahren deutlich von den Prognosen abgewichen seien. „Insgesamt dürfte die Zustimmung zu radikalen Parteien am linken und rechten Rand dadurch um zwei Prozentpunkte gestiegen sein.“ Ähnliche Berichte erschienen am selben Tag auch im Tagesspiegel und im Mindener Tageblatt.
Für die Studie „Inflation Surprises and Election Outcomes“ untersuchte das IfW 365 Wahlen in 18 Industrieländern im Zeitraum von 1948 bis 2023. Laut IfW zeigt die Analyse, dass ein Inflationsschock von zehn Prozentpunkten innerhalb einer Legislaturperiode, gekoppelt mit unterdurchschnittlichem Reallohnwachstum, zu einem Anstieg der Wählerstimmen für populistische und extremistische Parteien bei der folgenden Wahl um 2,8 Prozentpunkte führen kann. Auch unerwartete Veränderungen des Bruttoinlandsprodukts wirken sich auf die Wählergunst aus.
Positive Überraschungen hingegen schwächen den Zulauf zu den Randparteien ab. Nach Angaben des IfW sinkt der Stimmenanteil radikaler Parteien um etwa 0,25 Prozentpunkte, wenn das Wirtschaftswachstum um einen Prozentpunkt über den Erwartungen liegt. Auch Lohnerhöhungen wirken dämpfend. Können Lohnsteigerungen den Inflationsschock kompensieren, beträgt der Stimmenzuwachs für Parteien am linken und rechten Rand nur noch 1,3 Prozentpunkte.
Die Studienergebnisse gelten laut IfW für Phasen unerwartet hoher Inflation, wie beispielsweise die Ölkrise der 1970er Jahre oder den Preisschock nach der Corona-Pandemie. Sie könnten einen Teil des Zuspruchs für Donald Trump in den USA sowie für die AfD und das BSW in Deutschland erklären. Wie Studien-Co-Autor Jonathan Federle erklärte, profitieren extreme Parteien, „wenn die Preissteigerungen höher ausfallen als erwartet und Arbeitnehmer und andere Wirtschaftsakteure keine Möglichkeit hatten, sich durch entsprechende Lohnerhöhungen auf die Inflation einzustellen“. Der Tagesspiegel berichtet in diesem Zusammenhang auch von zunehmender Unzufriedenheit in der Bevölkerung, die sich in einer Zunahme von Demonstrationen und Streiks äußert.
Steigt die Inflation unerwartet schneller als die Reallöhne, verstärkt dies die Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Die Studie belegt, dass negative Inflationsüberraschungen einen erheblichen Einfluss auf die Anzahl von Demonstrationen und Streiks gegen die Regierungspolitik haben. So steige die Anzahl der Demonstrationen um etwa acht Prozent, wenn die tatsächliche Inflation um einen Prozentpunkt über den Erwartungen liegt.