September 5, 2024
Kafkas ambivalente Begegnungen mit München
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Diese kleine schmutzige Geschichte

Franz Kafka, einer der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, hatte ein ambivalentes Verhältnis zur Stadt München. Trotz der Tatsache, dass er während seiner Lebenszeit mehrmals in dieser Stadt verweilte, blieb eine tiefere geistige Verbindung aus. Besonders bemerkenswert ist, dass München der Ort war, an dem Kafka eine seiner wenigen öffentlichen Lesungen abhielt.

Die Anreise nach München erfolgte stets mit dem Zug. Der Hauptbahnhof, der zur Zeit der Prinzregenten eine andere Gestalt hatte als heute, war bereits damals ein Kopfbahnhof mit zahlreichen Gleisen. Heute wird der Bahnhof von Baustellen und Verzögerungen geprägt, die Pendler belasten. Diese ständige Veränderung und die damit verbundenen Herausforderungen könnten als „kafkaesk“ bezeichnet werden, ein Begriff, der auf die ungreifbare Bedrohlichkeit in Kafkas Werk verweist.

Kafkas erste Reise nach München fand Ende November 1903 statt, als er gerade zwanzig Jahre alt war und überlegte, an der Isar Germanistik zu studieren. Die Stadt war für ihn nicht nur ein Ort des Studiums, sondern auch ein kulturelles Zentrum, das ihn faszinierte. Thomas Mann, ein Autor, den Kafka bewunderte, hatte hier gelebt und gewirkt. Kafkas erster Aufenthalt in München dauerte fast zwei Wochen, in denen er die Stadt erkundete, jedoch das Gefühl hatte, nur an der Oberfläche gekratzt zu haben.

Ein wichtiger Teil seiner Erkundung war die Maxvorstadt, ein Stadtteil, der zu dieser Zeit ein Zentrum für subkulturelle Aktivitäten war. Hier fand Kafka zahlreiche Lokalitäten, die für ihn von Interesse waren. Eine der bekanntesten war das Kabarett „Elf Scharfrichter“, das für seine provokanten Aufführungen bekannt war. Heute befindet sich an dieser Stelle ein modernes Designstudio, das mit Wellness-Angeboten wirbt. Kafkas Suche nach Glück war jedoch eine ständige Herausforderung.

In der Türkenstraße 57, wo sich zu Kafkas Zeiten die „Wein-, Kaffee-Flaschenbierwirtschaft Alter Simpl“ befand, ist heute noch das gleichnamige Lokal zu finden. Die Wirtin Kathi Kobus hatte 1903 den Namen geändert und zog mit ihrem Restaurant um. Zu den Gästen zählten viele bekannte Persönlichkeiten der Münchner Boheme, darunter der Skandalautor Frank Wedekind und der Kommunist Erich Mühsam.

Ein weiteres bedeutendes Gebäude, das Kafka während seiner Aufenthalte in München sah, war der Glaspalast, eine beeindruckende Ausstellungshalle. Obwohl Kafka die Kunsthalle im Winter nicht besuchen konnte, war sie für ihn ein Symbol für die künstlerische Vitalität der Stadt. Er logierte in der Pension Lorenz, die sich in der Nähe des Alten Botanischen Gartens befand. Diese Unterkunft war für Kafka nicht nur ein Ort der Ruhe, sondern auch ein Ausgangspunkt für seine Erkundungen.

Ein weiterer Besuch in München fand 1911 statt, als Kafka auf dem Weg nach Zürich war. Diesmal war er in Begleitung seines Freundes Max Brod und einer jungen Frau, Angela Rehberger. Die drei unternahmen eine kurze Stadtrundfahrt, die jedoch von der Hektik des Reisens geprägt war. Diese flüchtige Begegnung in der Stadt, die Kafka immer wieder besuchte, zeigt die Komplexität seiner Beziehungen zu den Orten, die er bereiste.

Der dritte Besuch in München war ebenfalls kurz und fand während einer Rückreise von einem Sanatoriumsaufenthalt statt. Kafka nutzte die Gelegenheit, um den Glaspalast zu besuchen, der ihm beim ersten Mal verwehrt geblieben war. Diese Besuche in München waren für Kafka mehr als nur Reisen; sie waren auch eine Auseinandersetzung mit seinen eigenen Erwartungen und der Realität, die ihn umgab.

Die Beziehung zwischen Kafka und München bleibt ein faszinierendes Kapitel in der Biografie des Schriftstellers. Trotz der kulturellen Anziehungskraft, die die Stadt auf ihn ausübte, blieb die Verbindung immer ambivalent. Die Stadt war für Kafka ein Ort der Inspiration, aber auch der Enttäuschung. Diese kleine schmutzige Geschichte zeigt, wie komplex und vielschichtig die Erfahrungen eines Künstlers in einer sich ständig verändernden Welt sein können.

Quellen: - Hannes Hintermeier, „Warum Kafkas Verhältnis zu München schwierig war“, FAZ.net, 04.09.2024.

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