Ein bedeutendes Stück Literaturgeschichte kommt unter den Hammer: Das handschriftliche Manuskript von Franz Kafkas Erzählung "Erstes Leid" aus dem Jahr 1922 wird zusammen mit einem eigenhändigen Brief des Autors versteigert. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.) berichtet, handelt es sich um die erste literarische Originalhandschrift Kafkas, die seit 2018 zum Verkauf angeboten wird. Die Auktion findet am 23. November bei dem Auktionshaus Christian Hesse in Hamburg statt.
Die Erzählung "Erstes Leid" dreht sich um einen Trapezkünstler, der ausschließlich in der Höhe der Zirkuskuppel leben möchte. Der Künstler unterordnet alles seinem Perfektionsstreben. Jeder Abstieg in den Alltag wird zur Qual. Die F.A.Z. interpretiert den Text als Parabel auf die Künstlerexistenz: Das Verweilen in der Kuppel symbolisiert die produktiven Schreibphasen, der Abstieg die Anforderungen des Alltags. Der fürsorgliche Impresario in der Geschichte wird als Porträt von Kafkas Freund Max Brod gedeutet, der Kafka stets unterstützte, sich aber auch Sorgen um dessen Gesundheit machte. Kafka selbst bezeichnete "Erstes Leid" gegenüber Brod als "widerliche kleine Geschichte", was laut F.A.Z. die These von der gewollten Darstellung der Lebensfeindlichkeit der Kunst untermauert.
Das Manuskript von "Erstes Leid" schickte Kafka im Mai 1922 an Hans Mardersteig, Redakteur der Kunstzeitschrift "Genius", nachdem dieser ihn wiederholt um einen Beitrag gebeten hatte. Dem Manuskript lag ein Brief bei, in dem Kafka seine mehrjährige Schreibpause erklärte. Der Brief kulminiert in dem bekannten Satz: "Man kann eben zweierlei zugleich sein: eines Freundes guter Traum und das eigene böse Wachsein." Dieses dreiseitige Schreiben galt lange als verschollen. Für Hans-Gerd Koch, Herausgeber der Kafka-Briefe, ist es ein Beleg dafür, wie Kafka die Kontrolle über sein Werk einerseits anderen überließ, andererseits aber auch maßgeblich beeinflusste.
Laut der Beschreibung auf the-saleroom.com, einer Online-Plattform für Auktionen, entstand die Erzählung wahrscheinlich während Kafkas Winteraufenthalt in Spindlermühle im Januar und Februar 1922. Dort begann er nach einer langen Pause wieder zu schreiben, auch die ersten Kapitel des Romans "Das Schloss" entstanden in dieser Zeit. Der Brief an Mardersteig, so the-saleroom.com, zeigt Kafkas ambivalentes Verhältnis zum Veröffentlichen. Er schickte den Text zwar, bat Mardersteig aber auch, das Manuskript zu vernichten, falls dessen Veröffentlichung auch nur eine kleine Überwindung kosten würde.
Ketterer Kunst, ein weiteres Auktionshaus, listet auf seiner Webseite zahlreiche verkaufte Kafka-Werke auf, darunter Erstausgaben von "Der Prozess", "Das Schloss" und "Betrachtung". Die erzielten Preise reichen von über 13.000 Euro bis zu etwas über 1.000 Euro.
Das Konvolut aus Manuskript und Brief wird bei der Auktion bei Christian Hesse auf 200.000 bis 280.000 Euro geschätzt, so die F.A.Z. Die Auktion bietet Sammlern und Literaturliebhabern die Chance, ein einzigartiges Stück Literaturgeschichte zu erwerben.