24.10.2024
ÖcalanBesuch und Anschlag in Ankara werfen Fragen über Friedensprozess auf

Am selben Tag, an dem bei einem Anschlag auf einen Rüstungskonzern in Ankara fünf Menschen getötet wurden, erhielt Abdullah Öcalan, der inhaftierte Anführer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Besuch von seinem Neffen. Dies war das erste Treffen mit einem Familienmitglied seit 43 Monaten, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (F.A.Z.) berichtet.

Der Zeitpunkt des Besuchs wirft Fragen auf. Öcalans Neffe, Ömer Öcalan, ist Abgeordneter der Kurdenpartei DEM. Nach dem Treffen auf der Gefängnisinsel Imrali erklärte er, sein Onkel habe ihm eine Botschaft mitgegeben: „Wenn die Voraussetzungen gegeben sind, habe ich die theoretische und praktische Macht, diesen Prozess von einer Grundlage aus Konflikt und Gewalt auf eine gesetzliche und politische Grundlage zu heben.“

Dieser Vorstoß erfolgte als Reaktion auf eine Äußerung aus dem Lager von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Dessen Verbündeter Devlet Bahçeli hatte zuvor eine mögliche Freilassung Öcalans ins Spiel gebracht, sollte dieser die Selbstauflösung der PKK nach 40 Jahren Guerillakampf verkünden. Der Besuch von Ömer Öcalan lässt vermuten, dass hinter den Kulissen bereits Gespräche über einen möglichen Friedensprozess laufen. Allerdings fand der Besuch laut F.A.Z. noch vor dem Anschlag statt.

Türkei macht PKK für Anschlag verantwortlich

Die türkische Regierung machte die PKK für den Anschlag verantwortlich. Innenminister Ali Yerlikaya erklärte, die beiden getöteten Angreifer seien als Mitglieder der Terrorgruppe identifiziert worden. Die Türkei reagierte mit Luftangriffen auf mutmaßliche PKK-Stellungen im Irak und in Syrien. Verteidigungsminister Yaşar Güler sagte, seit Mittwochabend seien 47 Ziele angegriffen worden.

Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete, die türkische Luftwaffe habe in Syrien unter anderem Infrastrukturanlagen für die Versorgung mit Gas, Wasser und Strom angegriffen. Mindestens zwölf Zivilisten sollen dabei getötet worden sein. Die PKK selbst hat sich bislang nicht zu dem Anschlag bekannt.

Zweifel an Einfluss Öcalans

Der Anschlag wirft die Frage auf, wie viel Einfluss Öcalan nach 25 Jahren Haft überhaupt noch auf die PKK hat. Es stellt sich die Frage, ob es innerhalb oder außerhalb der Organisation Kräfte gibt, die einen Friedensprozess verhindern wollen. Möglicherweise sollte der Anschlag genau diese Botschaft senden.

Sowohl die Kurdenpartei DEM als auch die größte Oppositionspartei CHP äußerten den Verdacht, dass der Angriff mit der Offerte zur Freilassung Öcalans zusammenhängt. Sie ließen jedoch offen, wen sie konkret dahinter vermuten. „Wir finden es bezeichnend, dass solch ein Angriff zu einem Zeitpunkt stattfindet, an dem die türkische Gesellschaft über Lösungen und die Möglichkeiten eines Dialogs diskutiert“, hieß es in einer Mitteilung der DEM.

Erinnerungen an 2015

Der CHP-Chef Özgür Özel zog Parallelen zur Parlamentswahl 2015. Damals hatte Erdoğans AKP aufgrund der Beliebtheit des inhaftierten Kurdenpolitikers Selahattin Demirtaş ihre absolute Mehrheit verloren. Der damalige Friedensprozess mit der PKK scheiterte in der Folge. Es kam zu mehreren Anschlägen, die dazu beitrugen, dass Erdoğans Partei bei einer Neuwahl wieder die Oberhand gewann.

Der Anschlag in Ankara verdeutlicht die Komplexität der Lage in der Türkei und die Herausforderungen, vor denen ein neuerlicher Friedensprozess steht. Ob der Anschlag ein Zeichen dafür ist, dass dieser Prozess bereits gescheitert ist, bevor er richtig begonnen hat, bleibt abzuwarten.

Quelle: F.A.Z.

Weitere Quellen:

  • https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/tuerkei-angriff-syrien-irak-anschlag-ankara-100.html
  • https://www.tagesschau.de/ausland/europa/anschlag-tuerkei-108.html
  • https://www.prosieben.de/serien/newstime/news/ankara-zahl-der-todesopfer-nach-anschlag-steigt-auf-fuenf-tuerkei-schlaegt-zurueck-450473
  • https://www.spiegel.de/thema/ankara/
  • https://www.fr.de/politik/tuerkei-ankara-terror-pkk-ypg-geheimdienst-mit-luftangriffe-syrien-irak-93373242.html
  • https://www.nzz.ch/international/anschlag-in-ankara-ld.1854155
  • https://www.tagesschau.de/eilmeldung/mutmasslicher-anschlag-tuerkei-100.html
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