September 20, 2024
Reichenau: Ein Paradies für Gemüseliebhaber

Insel Reichenau: Schmeckt so der Garten Eden?

Die Insel Reichenau im Bodensee ist ein Ort, der nicht nur durch seine malerische Landschaft besticht, sondern auch durch seine bedeutende Rolle in der Geschichte des Gemüseanbaus in Deutschland. Diese einzigartige Kombination aus Natur und Tradition hat der Insel den Status eines UNESCO-Weltkulturerbes eingebracht. Hier wird Gemüse nicht einfach nur angebaut; es wird mit einer Leidenschaft und Hingabe kultiviert, die an die Anfänge des klösterlichen Gartenbaus vor über 1300 Jahren erinnert.

Die Tradition des Gärtnerns auf der Reichenau

Die Reichenau ist nicht nur eine Klosterinsel, sondern auch die Wiege des Gemüseanbaus in Deutschland. Heute bewirtschaften 41 Landwirte die fruchtbaren Böden der Insel und ernten gemeinsam mit ihren Schwestergärtnereien auf dem Festland jährlich etwa 14.000 Tonnen Gemüse. Diese Gärtner bezeichnen sich nicht als Gemüsebauern, sondern als Hüter der Erde, die uns einen Vorgeschmack auf den Garten Eden geben. Diese Selbstbezeichnung spiegelt das tiefe Verständnis und die Wertschätzung wider, die sie für ihre Arbeit empfinden.

Die Wurzeln des Gemüseanbaus auf der Reichenau reichen bis ins Jahr 724 zurück, als der Wanderbischof Pirmin eine Benediktinerabtei gründete. Die Mönche dieser Abtei lebten nach dem Motto „Ora et labora“ und widmeten sich sowohl dem Gottesdienst als auch der Landwirtschaft. Ihr Engagement führte zur Schaffung des „Hortulus“, eines Lehrgedichts über den klösterlichen Gartenbau, das die Aufzucht und Verwendung von 24 Nutzpflanzen detailliert beschreibt. Dieses Werk wurde zu einem der bedeutendsten Texte über die mittelalterliche Landwirtschaft und trug zur Bekanntheit der Reichenau als Zentrum des Gemüseanbaus bei.

Optimale Bedingungen für den Gemüseanbau

Die klimatischen Bedingungen auf der 450 Hektar großen Insel sind für den Gemüseanbau nahezu ideal. Der Bodensee spielt dabei eine entscheidende Rolle. Im Sommer kühlt er die Insel, während er im Winter Wärme spendet, was zu einer Temperatur führt, die oft zwei Grad höher ist als auf dem Festland. Zudem bietet der Bodensee eine unerschöpfliche Quelle für die Bewässerung, die Trinkwasserqualität hat. Diese Faktoren, kombiniert mit den vielen Sonnenstunden, ermöglichen eine frühere Ernte als in anderen deutschen Anbaugebieten.

Die Böden der Reichenau sind reich an Mineralien und ermöglichen somit einen geringen Düngungsbedarf. Sie sind zudem luftig genug, um nach Regenfällen schnell zu trocknen, was die Bearbeitung erleichtert. Dennoch gibt es Herausforderungen, wie die häufigen Nebeltage im Herbst und Winter, die die Gärtner vor besondere Herausforderungen stellen.

Die Bedeutung des Reichenauer Gemüses

Die Gärtner auf der Reichenau sind in einer Genossenschaft organisiert, die die Marke „Reichenauer Gemüse“ schützt. Dieses Gemüse genießt den Status einer geschützten geografischen Herkunftsangabe der Europäischen Union, was seine Qualität und Einzigartigkeit unterstreicht. Die Gärtner sind in der Lage, ihre Produkte zu Preisen zu verkaufen, die oft doppelt so hoch sind wie die ihrer Konkurrenz aus Spanien oder Nordafrika. Diese Preise werden von Feinschmeckern und Spitzenköchen gleichermaßen akzeptiert, was die Bedeutung des Reichenauer Gemüses weiter erhöht.

Tourismus und Landwirtschaft: Ein Spannungsfeld

Mit der Ernennung zur UNESCO-Weltkulturerbestätte hat der Tourismus auf der Reichenau stark zugenommen. Jährlich besuchen etwa eine Million Tagesgäste die Insel, was zu einem Spannungsverhältnis zwischen den Interessen der Gärtner und den Anforderungen des Tourismus führt. Der Bau neuer Gewächshäuser wird häufig abgelehnt, und die Ausweitung der Anbauflächen wird durch Landschaftsschutzgebiete eingeschränkt. In den letzten 30 Jahren ist die Anzahl der Gärtner auf der Insel von 180 auf 41 gesunken, was die Herausforderungen verdeutlicht, mit denen die Gärtner konfrontiert sind.

Dennoch gibt es auch Gärtner, die sich von diesen Herausforderungen nicht entmutigen lassen. Stefanie Wehrle, eine leidenschaftliche Gärtnerin in dritter Generation, führt die Familientradition fort und baut auf zwei Hektar Fläche unter Glas verschiedene Gemüsesorten an. Sie betont, dass das Gärtnern auf der Reichenau etwas ganz Besonderes ist und dass die Tradition des Gemüseanbaus ein wesentlicher Teil des Erbes der Insel ist.

Fazit

Die Insel Reichenau ist ein faszinierender Ort, der nicht nur durch seine landschaftliche Schönheit, sondern auch durch seine reiche Geschichte und Tradition des Gemüseanbaus besticht. Die Gärtner der Insel sind mehr als nur Landwirte; sie sind Hüter eines Erbes, das tief in der Geschichte verwurzelt ist. Trotz der Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind, bleibt die Leidenschaft für das Gärtnern und die Hingabe zur Qualität des Reichenauer Gemüses ungebrochen. So bleibt die Frage: Schmeckt so der Garten Eden? Für viele, die die frischen Produkte der Insel genießen, lautet die Antwort eindeutig ja.

Quellen: F.A.Z.

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