Der Prozess gegen Italiens Vize-Premierminister Matteo Salvini wegen Behinderung der Seenotrettung steht vor dem Abschluss. Die Staatsanwaltschaft hat eine Gefängnisstrafe von sechs Jahren gefordert, wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) meldet. Dem Lega-Chef und amtierenden Verkehrsminister wird vorgeworfen, 2019 als Innenminister das Rettungsschiff "Open Arms" mit über 160 Migranten an Bord wochenlang am Einlaufen in den Hafen von Lampedusa gehindert zu haben. Salvinis Verteidigung plädiert auf Freispruch.
Der Fall "Open Arms" erregte damals internationales Aufsehen. Das Schiff der gleichnamigen spanischen NGO hatte im August 2019 Migranten aus Seenot gerettet. Medienberichten, unter anderem der Stuttgarter Zeitung und dem Trierischen Volksfreund zufolge, sprangen mehrere Menschen von Bord des vor Lampedusa liegenden Schiffes, um schwimmend die Küste zu erreichen. Ein Anlegen wurde der "Open Arms" jedoch verweigert. Nach drei Wochen beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft das Schiff, um den Migranten die Landung zu ermöglichen. Salvini argumentierte damals laut Süddeutscher Zeitung, die EU müsse sich zuvor auf eine Verteilung der Geretteten einigen.
Salvini, eine Schlüsselfigur in der Regierungskoalition von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, kündigte an, im Falle einer Verurteilung im Amt zu bleiben. Er wirft der Justiz politische Motive vor und sieht sich als Opfer. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Freiheitsberaubung und Amtsmissbrauch vor. Ein Gericht in Palermo wird nach über drei Jahren Prozessdauer nun entscheiden. Wie die Zeit berichtet, erlangte Salvini 2018/19 als Innenminister durch sein hartes Vorgehen gegen Hilfsorganisationen im Mittelmeer internationale Bekanntheit. Seine Partei Lega erreichte damals in Umfragen Spitzenwerte von über 30 Prozent, liegt aktuell aber bei etwa 10 Prozent und damit deutlich hinter Melonis Fratelli d'Italia.
Salvini kündigte bereits Berufung gegen ein mögliches Hafturteil an und sprach von "kommunistischen Richtern". Er habe lediglich seine Pflicht erfüllt und die Grenzen verteidigt, so der Rechtspopulist. Italiens Richter- und Anwaltsverbände wiesen diese Anschuldigungen zurück. Ministerpräsidentin Meloni sicherte Salvini ihre Solidarität zu und erklärte im Parlament, er könne auf die Unterstützung der gesamten Regierung zählen. Die Lega kündigte für den Fall einer Verurteilung Proteste an. Es wäre in Italien höchst ungewöhnlich, wenn ein Minister nach einer Gefängnisstrafe im Amt bliebe.
Italien ist stark von der Migration über das Mittelmeer betroffen. Während im vergangenen Jahr über 150.000 Neuankömmlinge registriert wurden, sind es in diesem Jahr bisher rund 64.000. Von den Migranten, die im Sommer 2019 mit der "Open Arms" in Lampedusa ankamen, lebt heute nur noch einer in Italien, wie die Helfer berichten. Die Regierung Meloni verfolgt einen harten Kurs gegen irreguläre Migration. Pläne, Asylanträge künftig in Aufnahmelagern in Albanien bearbeiten zu lassen, sind nach zwei Gerichtsniederlagen gescheitert. Die Lager stehen leer.
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