19.10.2024
Urteil des Bundesgerichtshofs zur Verantwortung administrativer Rollen im Nationalsozialismus

Bundesgerichtshof bestätigt Urteil gegen ehemalige KZ-Sekretärin

Der Bundesgerichtshof (BGH) in Leipzig hat am 20. August 2024 die Verurteilung der ehemaligen KZ-Sekretärin Irmgard F. wegen Beihilfe zum Massenmord in mehr als 10.000 Fällen bestätigt. Diese Entscheidung markiert einen weiteren Schritt in der juristischen Aufarbeitung der Verbrechen des Nationalsozialismus und könnte als eines der letzten Strafverfahren gegen Beteiligte an den Gräueltaten des Dritten Reiches angesehen werden.

Hintergrund des Falls

Irmgard F., die inzwischen 99 Jahre alt ist, arbeitete von 1943 bis 1945 als Schreibkraft in der Kommandantur des Konzentrationslagers Stutthof, das sich in der Nähe von Danzig (heute Gdańsk, Polen) befand. In dieser Funktion war sie für die Verwaltung und den Schriftverkehr des Lagers zuständig und hatte somit direkten Zugang zu Informationen über die Vorgänge im Lager. Das Landgericht Itzehoe hatte sie im Dezember 2022 zu zwei Jahren Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt, da sie als Beihilfe zum Mord in 10.505 Fällen sowie zum versuchten Mord in fünf Fällen schuldig gesprochen wurde.

Die Rolle der Sekretärin

Die Richter des Landgerichts Itzehoe kamen zu dem Schluss, dass Irmgard F. durch ihre administrative Tätigkeit den Verantwortlichen des Lagers bei der systematischen Tötung von Häftlingen geholfen hatte. In ihrer Funktion als Sekretärin des Lagerkommandanten Paul Werner Hoppe war sie für die Erstellung und den Versand von Dokumenten verantwortlich, die unter anderem Deportationslisten enthielten. Diese Listen führten dazu, dass viele Gefangene in Vernichtungslager wie Auschwitz transportiert wurden, wo sie ermordet wurden.

Revisionsverfahren

Die Verteidigung von Irmgard F. hatte Revision gegen das Urteil eingelegt und argumentiert, dass die Angeklagte nicht mit den Mordtaten in Verbindung gebracht werden könne, da sie lediglich „neutrale Handlungen“ ausgeführt habe. Es sei nicht nachgewiesen, dass sie von den Morden im Lager wusste. Diese Argumentation wurde jedoch vom BGH zurückgewiesen. Die Richter betonten, dass die Tätigkeit einer Sekretärin in einem solchen Kontext nicht als unbedeutend abgetan werden könne. Vielmehr sei sie eine „zentrale Schnittstelle“ in der bürokratischen Maschinerie des Lagers gewesen.

Die Auswirkungen des Urteils

Mit der Bestätigung des Urteils durch den BGH wird ein wichtiges Signal gesendet: Auch die Beihilfe zu Mordtaten verjährt nicht, und die juristische Aufarbeitung der Verbrechen des Nationalsozialismus bleibt ein unverzichtbarer Bestandteil der deutschen Rechtsprechung. Der Fall von Irmgard F. zeigt, dass auch Personen, die in administrativen Rollen tätig waren, zur Verantwortung gezogen werden können, wenn sie aktiv zur Unterstützung eines Systems beitragen, das Massenmorde verübt hat.

Gesellschaftliche Relevanz

Die Entscheidung des BGH wird in der Gesellschaft unterschiedlich bewertet. Während einige die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen als notwendig erachten, um das historische Gedächtnis wachzuhalten, gibt es auch kritische Stimmen, die die späte Verurteilung als unzureichend ansehen. Der Fall verdeutlicht die Herausforderungen, die mit der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit verbunden sind, insbesondere da die Zeitzeugen und Überlebenden der Gräueltaten immer weniger werden.

Fazit

Die Bestätigung des Urteils gegen Irmgard F. durch den Bundesgerichtshof ist ein bedeutender Schritt in der juristischen Aufarbeitung der Verbrechen des Nationalsozialismus. Sie zeigt, dass auch vermeintlich „neutrale“ Handlungen in einem System des Terrors zur Verantwortung gezogen werden können. Der Fall wird weiterhin als wichtiges Beispiel für die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und der Verantwortung für die Taten der Vorfahren dienen.

Quellen

Die Informationen in diesem Artikel basieren auf Berichten von:

    - NDR - MDR - ZDF - Tagesspiegel - Zeit Online - Bild - LTO
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