Das Nederlands Dans Theater (NDT), eine Institution des zeitgenössischen Tanzes, feierte kürzlich Premiere eines neuen Programms, das die Handschriften dreier Choreographen vereint: Jiří Kylián, Hofesh Shechter und Christos Papadopoulos. Der Abend wirft ein Schlaglicht auf die Entwicklung des modernen Tanzes, seine Herausforderungen und die stetige Suche nach neuen Ausdrucksformen.
Die Geschichte des NDT ist eng mit der Tanzmetropole Den Haag verwoben, einer Stadt, die bereits Anfang des 20. Jahrhunderts eine zentrale Rolle in der Entwicklung der Tanzkunst spielte. So weilte die berühmte Ballerina Anna Pawlowa, bekannt als Mikhail Fokins „Sterbender Schwan“ und Star der „Ballets Russes“, 1931 zu Gast im Hotel des Indes, als sie an einer Lungenentzündung verstarb. Noch heute erinnert die nach ihr benannte Bibliothek des Hotels an die große Tänzerin.
Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte der Tanz in den Niederlanden einen rasanten Aufschwung. Das 1959 gegründete NDT entwickelte sich unter der Leitung von Hans van Manen und Jiří Kyliàn zu einem der bedeutendsten Zentren des zeitgenössischen Balletts in Europa. Die Kompanie zeichnete sich durch ihre Experimentierfreude, die technische Brillanz ihrer Tänzer und die Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Themen aus.
Heute steht das NDT vor neuen Herausforderungen. In einer Zeit, in der Choreographen aus einem breiten Pool an Ensembles wählen können, ist die Konkurrenz groß. Uraufführungen sind gefragt, die mit innovativen Bewegungsvokabularen und aktuellen Themen auf sich aufmerksam machen. Wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichtet, liegt der Fokus dabei oft auf der Neuheit, während die Auseinandersetzung mit dem reichen Repertoire der Tanzgeschichte in den Hintergrund rückt.
Der jüngste Premierenabend am NDT spiegelt diese Entwicklung wider. Neben Jiří Kyliáns Werk „Vanishing Twins“ aus dem Jahr 2008, das durch seine surreale und melancholische Ästhetik besticht, zeigt die Kompanie Hofesh Shechters „Clowns“ (2016) und die Uraufführung „Ties Unseen“ von Christos Papadopoulos.
Papadopoulos, Absolvent der Amsterdamer School For New Dance Development, erarbeitet mit sechzehn Tänzern das Thema der „unsichtbaren Fesseln“. In einer reduzierten Bühnenästhetik entfaltet sich ein komplexes Bewegungsspektrum, das von synchronen Rhythmen und repetitiven Elementen geprägt ist. Die Musik von Jeph Vangers unterstreicht die hypnotische Wirkung des Stücks, die durch die intensive Performance der Tänzer noch verstärkt wird.
Trotz der starken Präsenz des Ensembles und der präzisen Ausführung der Choreographie lässt „Ties Unseen“ den Zuschauer mit einem Gefühl der leichten Enttäuschung zurück. Die Ähnlichkeit zu Sharon Eyals unverkennbarer Handschrift, die durch ihre Originalität und Komplexität besticht, ist unverkennbar.
Hofesh Shechters „Clowns“ hingegen schockiert mit brutalen Szenen, die an Erschießungen und Gewalttaten erinnern. Die Gegenüberstellung mit Kyliáns Werk, in dem die Frauen in den Duetten immer wieder gewalttätig gegenüber den Männern werden, wirft Fragen nach der Auswahl und Interpretation von Repertoirestücken auf.
Der Premierenabend am NDT zeigt die Vielfalt und Lebendigkeit des zeitgenössischen Tanzes. Zugleich macht er deutlich, wie wichtig die Auseinandersetzung mit der Geschichte dieser Kunstform ist, um neue, innovative und eigenständige Werke hervorzubringen.
Quellen: