Die Ökonomin Fiona Scott Morton argumentiert, dass der Schlüssel zu einer erfolgreichen europäischen Gesellschaft nicht in der Schaffung eines europäischen Gegenstücks zu Google liegt, sondern in der Steigerung von Produktivität und Wohlbefinden. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (F.A.S.) vom 22. Dezember 2024 erklärt sie, dass Arbeitslosigkeit Unzufriedenheit verursacht, während die meisten Menschen nach erfüllender Freizeitgestaltung mit Familie und Hobbys, Komfort und Selbstbestimmung streben. Scott Morton bezweifelt, dass die Existenz eines europäischen Google-Klons diesen Zielen dienlich wäre und stellt die Frage nach dem tatsächlichen Beitrag eines solchen Unternehmens zum gesellschaftlichen Fortschritt.
Die F.A.S. vergleicht in einem Artikel vom 20. Dezember 2024 die wirtschaftliche Entwicklung der USA und Deutschlands und verdeutlicht damit unterschiedliche Herangehensweisen und deren Folgen. Seit den 1990er Jahren ist der Wohlstand in den USA deutlich stärker gewachsen als in Deutschland. Die amerikanische Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung übertrifft die deutsche um etwa 50 Prozent, was einem jährlichen Mehrverdienst von durchschnittlich 30.000 Euro pro Kopf entspricht. Obwohl die Lebenshaltungskosten in den USA höher sind, bleibt ein beachtlicher Kaufkraftvorteil von rund 20 Prozent gegenüber Deutschland bestehen. Dieser wirtschaftliche Vorteil ermöglicht den USA beispielsweise die Finanzierung eines starken Militärs. Der Ökonom Jacob Kirkegaard unterstreicht dies mit dem Beispiel, dass selbst der ärmste US-Bundesstaat Mississippi eine höhere Kaufkraft aufweist als Deutschland.
Scott Mortons Argumentation relativiert die Bedeutung einzelner Unternehmen für den gesellschaftlichen Erfolg und rückt stattdessen die fundamentalen Bedürfnisse und Ziele der Bevölkerung in den Mittelpunkt. Die USA haben durch die Konzentration auf Wirtschaftswachstum und Innovation einen erheblichen Wohlstandsvorsprung erreicht, doch dies wirft auch Fragen nach den damit verbundenen gesellschaftlichen Kosten auf. Scott Morton lenkt den Blick auf die Frage, wie gesellschaftlicher Wohlstand und individuelle Zufriedenheit am effektivsten erreicht werden können – unabhängig von der Existenz bestimmter Unternehmen.
Scott Mortons Perspektive bereichert die Debatte um Europas digitale Souveränität. Sie regt dazu an, alternative Wege zu erkunden, die nicht auf der bloßen Nachahmung amerikanischer Erfolgsmodelle beruhen, sondern die spezifischen Bedürfnisse und Prioritäten der europäischen Gesellschaft berücksichtigen.
Quellen:
- Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (F.A.S.), 22.12.2024: „Fiona Scott Morton: „Europa muss nicht bedauern, dass es kein Google hat““ (https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/fiona-scott-morton-europa-muss-nicht-bedauern-dass-es-kein-google-hat-110173140.html)
- Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (F.A.S.), 20.12.2024: „Reich in Amerika, bequem in Europa“ (https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/reich-in-amerika-bequem-in-europa-110187264.html)