19.10.2024
Antisemitismus und Extremismus: Aktuelle Entwicklungen in Berlin

Nahost-Konflikt: Nach Vorwürfen gegen Rauch verlässt Mitglied TU-Aufsichtsrat

Fünf Wochen nachdem sich der Aufsichtsrat der Technischen Universität (TU) Berlin dafür ausgesprochen hat, an Unipräsidentin Geraldine Rauch festzuhalten, will Matthias Kleiner das Gremium verlassen. Er habe Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) gebeten, ihn von der Bestellung in das Kuratorium der TU Berlin zu entbinden, teilte Kleiner der Deutschen Presse-Agentur mit.

Für ihn sei «eine zukünftige vertrauensvolle Zusammenarbeit - beiderseitig - nur schwer vorstellbar», da sich der notwendige personelle Neuanfang derzeit nicht abzeichne, begründete Kleiner seine Entscheidung. Der Produktionswissenschaftler erklärte, er habe bereits in der Sondersitzung des Kuratoriums der TU Berlin am 10. Juni in einem Sondervotum seine Überzeugung ausgedrückt, dass «die gravierenden Probleme der TU Berlin» nicht ohne einen personellen Neuanfang im Präsidium zu lösen seien. «Davon bin ich nach wie vor sehr überzeugt», so Kleiner.

Die Präsidentin der TU steht in der Kritik, weil sie mindestens einen antisemitischen Post auf der Plattform X im Kontext des Gaza-Kriegs mit einem «Gefällt mir» markiert hatte. Dabei ging es insbesondere um einen Beitrag mit Fotos von Demonstranten, die ein Bild des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu mit aufgemaltem Hakenkreuz hochhalten. Nach Angaben des Direktors der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, relativiert eine solche Gleichsetzung den Holocaust.

Aus Sicht des Kuratoriums hat Rauch durch ihr Verhalten der TU Berlin viel Schaden zugefügt. Gleichwohl hatte sich das Gremium dafür entschieden, von einer Rücktrittsforderung beziehungsweise einer Empfehlung zur Abwahl der Präsidentin abzusehen. Stattdessen sprach es sich dafür aus, Rauch bei ihrem angekündigten Neuanfang «konstruktiv-kritisch» zu unterstützen. Der Zentralrat der Juden kritisierte dies.

Antisemitismus dominierendes Thema aller Extremisten in 2023

Der Überfall der Terrormiliz Hamas auf Israel sorgte für antisemitische Aktivitäten nicht nur bei Islamisten, sondern auch bei Rechtsextremisten und Teilen der linksradikalen Szene.

Der Berliner Verfassungsschutz berichtet, dass Antisemitismus, Israelfeindlichkeit und der Nahost-Konflikt die dominierenden Themen aller extremistischen und verfassungsfeindlichen Gruppen im vergangenen Jahr in Berlin waren. Das Thema Nahost habe die Aktivitäten von Extremisten "beeinflusst und intensiviert", sagte Innensenatorin Iris Spranger (SPD) bei der Vorstellung des Jahresberichts des Berliner Verfassungsschutzes für 2023. "Die Bedrohung für die Demokratie hat in fast allen Bereichen zugenommen."

"In allen Phänomenbereichen wurden der Terror der Hamas und die israelische Reaktion darauf benutzt, um Hass auf Juden und den Staat Israel zu schüren. Verfassungsfeinde waren und sind in Berlin zentrale Treiber von Antisemitismus", sagte Spranger weiter. Das gelte natürlich für Islamisten, aber auch für Rechtsextremisten und Teile der Linksextremisten.

Spranger betonte, im vergangenen Jahr hätten sich Antisemitismus und Israelfeindlichkeit "so offen und enthemmt wie selten zuvor gezeigt". Das Massaker der Hamas sei offen bejubelt worden, Israel sei als Apartheitsstaat diffamiert worden. Juden seien in Berlin beleidigt, bedroht und angegriffen worden. Islamistische und linksextremistische Gruppen hätten Demonstrationen abgehalten, Veranstaltungen gestört und Universität-Räume besetzt. Daher sei dieses Thema auch der Schwerpunkt des aktuellen Berichts.

Der Chef des Verfassungsschutzes, Michael Fischer, sagte, der 7. Oktober sei im Extremismus-Bereich prägend für das gesamte Jahr gewesen und "Treiber für alle Bereiche durch eine erhebliche Mobilisierung und Radikalisierung".

Russische Spionage und Sabotage

Allerdings wirkte laut Fischer auch der russische Krieg gegen die Ukraine noch weiter im vergangenen Jahr. Es gebe "russische Spionageaktivitäten in deutlicher Breite", sagte er. "Wir müssen auch rechnen mit Einflussnahmen auf die Politik bis hin zu Sabotageaktionen. Wir sind auf alles eingerichtet und beobachten sehr intensiv."

Zu einem Brandanschlag auf eine Rüstungsfirma in Berlin, bei dem es um den Verdacht von russischer Beteiligung geht, sagte Fischer nichts Konkretes, weil die Polizei noch ermittle. Er betonte aber mit Blick auf Russland: "Wir rechnen auch mit Sabotageakten und können keine solchen Aktionen ausschließen. Wir können grundsätzlich annehmen, dass russische Geheimdienste in der Lage sind, solche Aktionen durchzuführen. (...) Wir überlegen uns schon genau, was kann Angriffsziel sein."

Neonazi-Partei "Dritter Weg"

Genau im Blick hat der Verfassungsschutz allerdings die Neonazi-Partei "Dritter Weg" und ihre Jugendorganisation NRJ, die in der rechtsextremistischen Szene überregional vernetzt und dominierend sei und mit Kampfsportveranstaltungen Jugendliche und junge Erwachsene anlocke und versuche, sie zu radikalisieren. "Das sind sehr beunruhigende Veranstaltungen, weil junge Leute in größerer Zahl herangeführt werden", sagte Fischer. Für Berlin sei das eine neue Qualität von Rechtsextremismus, weil sich eine solche Zugkraft in den vergangenen Jahren so nicht ergeben hätte. "Wir beobachten das mit großer Sorge."

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