Achtzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs soll ein digitaler Atlas, eine App mit dem Namen "Nazi Crimes Atlas", die Erinnerung an die zahllosen Orte nationalsozialistischer Verbrechen in Deutschland lebendig halten. Wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) berichtet, wird die App voraussichtlich ab Februar verfügbar sein. Projektleiter Wolfgang Hauck erklärte der dpa, dass der Startinhalt Informationen zu den Novemberpogromen 1938 umfassen wird. Diese Pogrome stellten einen grausamen Höhepunkt der nationalsozialistischen Judenverfolgung dar, gekennzeichnet durch Gewalt, Demütigungen, Plünderungen und die Zerstörung von Synagogen in ganz Deutschland.
Die App soll es insbesondere nachfolgenden Generationen ermöglichen, digital nachzuvollziehen, welche Verbrechen in ihrer Nähe begangen wurden und wer die Täter waren. Geplant ist die Dokumentation von über 25.000 Verbrechen an 8.000 Orten in Deutschland. Zu jedem Ort sollen Informationen zum Tathergang, den Tätern und den Opfern bereitgestellt werden. Wie die ZEIT am 6. Dezember 2024 berichtete, soll die App Mahnmale und neue Formen der Erinnerungskultur miteinander verbinden.
Die dokumentierten Verbrechen lassen sich in verschiedene Kategorien einteilen, darunter Pogrome, Denunziationen, Verbrechen an politischen Gegnern, Endphasenverbrechen und die sogenannte "Euthanasie". Gegenüber der dpa betonte Hauck die erschreckende Bandbreite der erfassten Taten. Verantwortlich für den Atlas ist die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft. Das Projekt wird, laut Hauck, vom Bundesfinanzministerium mit bis zu 780.000 Euro gefördert und basiert auf einer von Historikern zusammengestellten Datenbank mit Gerichtsakten zu Fällen, die nach 1945 verhandelt wurden.
Ziel ist es, diese Informationen niedrigschwellig und für alle Interessierten zugänglich zu machen, anstatt sie nur Wissenschaftlern in Archiven vorzuhalten. Der Fokus liegt dabei insbesondere auf jungen Menschen. Wer in seinem eigenen Ort tiefergehend recherchieren möchte, kann zusätzliche Informationen von den Projektverantwortlichen anfordern. Hauck beschreibt das Projekt als "Herstellung einer Selbstverständlichkeit", initiiert durch eine Anfrage der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem vor vielen Jahren. Yad Vashem hatte in Deutschland nach einer Übersicht der gerichtlich verfolgten Verbrechen gefragt, die zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht existierte.
Am 10. Dezember 2024 findet in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin eine Veranstaltung zur Vorstellung der App "Nazi Crimes Atlas" statt. Wie H-Soz-Kult am 27. November 2024 ankündigte, wird das Team von dieKunstBauStelle e.V. erläutern, wie die über 25.000 Daten zu juristisch verfolgten NS-Verbrechen erhoben und in die App integriert wurden und wie diese für partizipative Geschichtsprojekte genutzt werden können. Das Projekt ist Teil der Bildungsagenda NS-Unrecht der Stiftung Erinnerung-Verantwortung-Zukunft (EVZ).
Die Stiftung EVZ bietet zahlreiche Publikationen zum Thema Zwangsarbeit während des Nationalsozialismus an, die weitere Einblicke in dieses dunkle Kapitel deutscher Geschichte ermöglichen. Das SWR Kultur Magazin "Das Wissen" thematisierte am 17. August 2024 die "Blinden Flecken der Aufarbeitung" in der deutschen Erinnerungskultur und diskutierte die Notwendigkeit einer veränderten Perspektive mit stärkerem Fokus auf die Opfer.
Auch international wird die Erinnerungskultur gepflegt. Das Auswärtige Amt informiert auf seiner Webseite über den deutsch-italienischen Zukunftsfonds, der Projekte zur gemeinsamen Aufarbeitung der Kriegsvergangenheit fördert. Diese Projekte werden in enger Zusammenarbeit mit dem italienischen Außenministerium ausgewählt und tragen zur Schaffung einer gemeinsamen Erinnerungskultur bei.
Quellen: