23.10.2024
Dizzy Gillespies ungewöhnlicher Wahlkampf: Jazzmusiker mit Präsidenten-Ambitionen

Amerika lachte, Dizzy meinte es ernst: Ein Jazztrompeter als Präsident?

Intakte Staaten erkennt man nicht an einem zu allem fähigen Boss an der Spitze. Egal wer das Sagen hat, wichtig ist, dass die Mechanismen funktionieren, die Räder ineinandergreifen. Dass der Laden läuft. Gleichwohl hat der Chef Bedeutung als Symbolfigur. Was er kann, tut weniger zur Sache als das, was er darstellt. Dizzy Gillespie, der Jazzmusiker mit der Trompete, deren Schalltrichter zum Himmel zeigte, muss das gespürt haben, als er sich vor gut sechzig Jahren für das Amt des amerikanischen Präsidenten bewarb.

Es war das Jahr 1964, als Gillespie seine Kandidatur bekannt gab. Die USA steckten mitten im Kalten Krieg, der Vietnamkrieg warf seine Schatten voraus. In dieser Zeit der Unsicherheit und des Wandels wollte Gillespie mit seiner Musik und seiner Botschaft der Einheit und des Friedens die Menschen zusammenbringen.

Geradezu revolutionär war Gillespies Idee, ein Schattenkabinett aus bekannten Musikern zu bilden. Duke Ellington als Außenminister, Peggy Lee als Arbeitsministerin und Louis Armstrong, der Botschafter des guten Willens, sollte sich um die Belange der Landwirtschaft kümmern. Eine sicherlich unkonventionelle, aber durchaus charmante Vorstellung.

Doch Amerika lachte. Die etablierte Politik sah in Gillespie einen Populisten, der mit seiner Kandidatur nur Aufmerksamkeit erregen wollte. Die Medien griffen das Thema auf, doch meist mit einem Augenzwinkern. "Als wäre Goofy Präsident geworden", schrieb ein Journalist.

Gillespie ließ sich nicht beirren. Er reiste durchs Land, hielt Reden und gab Konzerte. Seine Botschaft war klar: "A change is gonna come", ein Wandel wird kommen. Er forderte gleiche Rechte für alle, ein Ende der Rassentrennung und ein friedliches Miteinander der Nationen.

Obwohl Gillespie es ernst meinte, scheiterte seine Kandidatur. Die amerikanische Gesellschaft war noch nicht bereit für einen Präsidenten, der Jazz spielte und für Frieden und Gleichheit eintrat. Doch Gillespies Botschaft verhallte nicht ungehört. Er hatte gezeigt, dass Musik mehr sein kann als nur Unterhaltung. Sie kann eine Stimme sein für die, die keine haben, und ein Aufruf zum Wandel.

Gillespies Präsidentschaftskandidatur mag gescheitert sein, doch sein Vermächtnis als Musiker und als Mensch, der für seine Überzeugungen einstand, bleibt bestehen. Er hat gezeigt, dass Träume keine Grenzen kennen und dass es sich lohnt, für eine bessere Welt zu kämpfen, auch wenn die Chancen gering erscheinen.

Quelle: Wolfgang Sandner: Amerika lachte, Dizzy meinte es ernst: Ein Jazztrompeter als Präsident?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.10.2024

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