October 3, 2024
Heilungsprozesse und Zeitwahrnehmung im Schatten des Krieges

Die ukrainische Schriftstellerin Kateryna Mishchenko über Heilung von Traumata

Der Krieg in der Ukraine hat tiefe Wunden in die Seelen der Menschen gerissen. Die Verarbeitung der traumatischen Erlebnisse ist eine Herausforderung, die die ukrainische Gesellschaft noch lange beschäftigen wird. Die Schriftstellerin und Essayistin Kateryna Mishchenko, deren Essayband „Aus dem Nebel des Krieges. Die Gegenwart der Ukraine“ 2023 bei Suhrkamp erschien, beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Trauma und Heilung.

In einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 03.10.2024 beschreibt Mishchenko, wie der Krieg die Wahrnehmung von Zeit verändert. "Der Krieg macht die Lebensformen zeitnegativ", schreibt sie. Er beschleunige das Verwelken, lasse Kinder altern und den Tod näherkommen. Die Menschen in den Kriegsgebieten lebten in einem anderen Zeitkontinuum als jene, die in Sicherheit leben.

Die unterschiedlichen Zeiterfahrungen führten auch zu einer Spaltung innerhalb der ukrainischen Gesellschaft, so Mishchenko. "Es gibt ukrainische Geflüchtete aus den Jahren 2014 und 2015, und es gibt jene, deren Fluchterfahrung mit dem Jahr 2022 verbunden ist." Der Krieg habe eine "historische Zäsur" dargestellt, die tiefe Spuren in der kollektiven Erinnerung hinterlassen werde.

Die Verarbeitung dieser Traumata ist für Mishchenko ein Prozess, der Zeit und Raum benötigt. In einem Interview mit der Kölnischen Rundschau vom 24.02.2023 betont sie: "Das ist der Versuch, sich zu heilen." Doch dieser Versuch werde durch die anhaltende Bedrohung durch den Krieg erschwert.

In einem Essay für die Zeit vom 22. Oktober 2023 vergleicht Mishchenko die Seele mit einer Landschaft, die durch den Krieg verwüstet wurde. "Kann die Landschaft ein Trauma zum Ausdruck bringen oder veranschaulichen?", fragt sie. Die Bilder der zerstörten Städte und Dörfer seien zu schmerzhaften Symbolen des Krieges geworden.

Für Mishchenko ist die Literatur ein wichtiges Medium, um die Traumata des Krieges zu verarbeiten und Heilungsprozesse anzustoßen. In der Anthologie "Aus dem Nebel des Krieges", die sie gemeinsam mit Katharina Raabe herausgegeben hat, kommen ukrainische Schriftsteller, Wissenschaftler, Aktivisten und Künstler zu Wort. Sie alle schildern ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Krieg und versuchen, die Zukunft der Ukraine zu gestalten.

Mishchenko ist überzeugt, dass die Heilung der Traumata nur durch ein gemeinsames Engagement der ukrainischen Gesellschaft und die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft gelingen kann. Der Weg zur Überwindung der Vergangenheit wird lang und steinig sein, aber Mishchenko gibt die Hoffnung nicht auf, dass die Ukraine gestärkt aus dieser Krise hervorgehen wird.

Quellen:

  • https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/bilder-und-zeiten/ukraine-krieg-katerian-mishchenko-ueber-heilung-von-traumata-110012520.html
  • https://www.zeit.de/2023/43/seele-philosophie-landschaft-ukraine-krieg-kunstgeschichte
  • https://www.rundschau-online.de/kultur/ukrainische-autorin-kateryna-mishchenko-das-ist-der-versuch-sich-zu-heilen-472809
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