October 3, 2024
Im Schatten der Wellen: Leben und Herausforderungen auf U-Boot U33

Unterwegs im U-Boot: Lautlose Jäger

Ein Kriegsschiff nimmt Kurs auf U33. Mit hoher Geschwindigkeit steuert es auf das Sehrohr des U-Boots zu, nachdem es zuvor eine schnelle Richtungsänderung vollzogen hat. Die Optik, die kaum 40 Zentimeter aus dem Wasser ragt, ist das Einzige, was von U33 zu sehen ist. Im bewegten Meer hinter der Insel Bornholm ist das Sehrohr schwer zu erkennen, aber eben nicht unsichtbar.

Nur abgetaucht sind die U-Boote halbwegs sicher davor, selbst gejagt zu werden. „Entfernung 2700 Meter, 2500!“, ruft Oberleutnant zur See Anna A. Sie peilt im Inneren des Boots durch das Sehrohr die Entfernung und den Kurs des potentiellen Angreifers. Die junge Frau behält die Situation im Blick. Ob sie die Situation im Griff hat, muss sich erst noch zeigen. Ihr bleiben nur wenige Sekunden.

18 Besatzungsmitglieder verfolgen in der Zentrale von U33 das Geschehen. Der Raum hat in etwa die Größe eines Heizungskellers. Auf knapp 25 Quadratmetern voller Kabel, Leitungen und geheimer Hochwerttechnik arbeiten die Soldaten am Maschinenstand, die Sonar-Offiziere und Bootsleute, die Waffenmeister, mehrere Funkspezialisten - und natürlich der Kommandant von U33, Korvettenkapitän Johannes Nestler.

Schulter an Schulter sitzen sie im rötlich-grünen Licht der Bildschirme und Armaturen. In der Mitte der stählernen Zelle befinden sich die beiden Sehrohre: das größere Sero 14 und das schmalere, nur mit Zieloptik bestückte Angriffsseerohr. Die Rohre können an Handgriffen justiert und gedreht werden.

Dann fällt der Entschluss: Die Offizierin empfiehlt dem Kommandanten, dringend vor dem auffahrenden Kriegsschiff abzutauchen. Ein letzter Blick noch auf das russische Aufklärungsschiff ein paar Meilen in anderer Richtung, dann befiehlt Nestler: „Schnell abtauchen auf 40 Meter.“ Der 35 Jahre alte Marineoffizier hat schon Jahre auf verschiedenen U-Booten verbracht und als Wachoffizier in verschiedenen Besatzungen gedient, ehe ihm die Flottille ein eigenes Boot anvertraute, das zumeist mutterseelenallein in den Weiten der See operiert.

Was seinem Befehl jetzt folgt, kann Ungeübte aus der Fassung bringen: Wie auf Knopfdruck kippt der 56 Meter lange Stahlkoloss nach vorne weg und stürzt mit seinen 1830 Tonnen in die Tiefe. „20 Meter . . . 30 Meter . . . 35 Meter“, melden die Maschinisten seelenruhig. Eine Minute später ist U33 auf 40 Meter Tiefe angelangt und entfernt sich zugleich mit etwa zehn Stundenkilometern vom Tauchort, über dem jetzt die anderen Schiffe kreisen - die Tender Main und Rhein, das Minenjagdboot Dillingen - und natürlich die Vasily Tatishchev, ein russischer Aufklärer, vollgestopft mit elektronischer Aufklärungs- und Störtechnik.

Tags zuvor war U33 bei Sonnenschein von Karlskrona ausgelaufen. Die Besatzung hatte das Wochenende in dem schwedischen Städtchen verbracht, nun ging es wieder hinaus aufs Meer. Eine weitere Prüfungswoche liegt vor den Seeleuten. Kaum sind die schwedischen Hoheitsgewässer verlassen, kommt das russische Schiff auf, „unser Schatten“, wie der 1. Wachoffizier, Paul B., sagt.

Wenn U33 abgetaucht ist, wird es nahezu unsichtbar und unhörbar. Selbst vor modernster Technik kann sich das Boot verstecken. Und das, obwohl die Ostsee so flach ist wie kaum ein anderes Meer, durchschnittlich nur 55 Meter tief.

Doch für die U-Boote geht es in der Ostsee nicht darum, sich in unterseeischen Schluchten zu verstecken, sondern die einzigartige Topographie des Gewässers zu nutzen, wie der Chefausbilder des U-Boot-Geschwaders, Fregattenkapitän Rudolf Lenthe, erläutert. Salzgehalt, Temperatur und Wasserdruck erzeugen Schichten und Säulen, in denen ein U-Boot nahezu verschwinden kann, wobei es selbst allerdings kaum noch hört und sieht. Der U-Boot-Kampf in der Ostsee sei daher eine Art mehrdimensionales Schach.

Und tatsächlich gibt es an Bord von U33 niemanden, der nicht mit gehörigem Respekt von den Gegnern spricht. Die Besatzung an Bord, normalerweise 28 Seeleute, ist eine verschworene Gemeinschaft. Nur sieben Mannschaften, von Alpha bis Golf, knapp 200 Personen, fahren auf U-Booten der Marine. Auf U33 ist es die Foxtrot-Besatzung. Ihr Boot nennen die deshalb „den Fuchs“, und einen schlauen Fuchs zeigen auch die Aufnäher auf ihren Uniformen. Sie alle gehören zum 1. U-Boot-Geschwader mit Heimathafen Eckernförde.

Sechs ältere Boote der Klasse 212A besitzt die Marine. Gemeinsam mit Norwegen wird für das Ende des Jahrzehnts ein Nachfolger geplant. Deutsche U-Boote sind in ihrer Klasse aber nach wie vor von großem Einsatzwert. Schon der Aufwand, den Russland betreibt, um möglichst keine ihrer Bewegungen zu verpassen, zeugt von dem Respekt, den U33 und die anderen Einheiten des Geschwaders genießen. Für manches NATO-Kriegsschiff, darunter auch ein US-Flugzeugträger, gab es bei Seemanövern schon ein böses Erwachen, wenn sich ein deutsches Unterseeboot durch alle Sicherungsringe auf Rufweite herangeschlichen hatte. Im Ernstfall wäre es das dann gewesen.

Begegnungen mit der russischen Marine sind in der Ostsee NATO-Routine. Allerdings nimmt die russische Aggressivität zu. Das bekommen auch die U-Boote zu spüren. Der Fuchs hatte in der Vorwoche vor Gotland gelegen, gemeinsam mit anderen Einheiten der Übung „Baltic Weever“. Dort wurde der deutsche Verband von immer stärkeren russischen Seestreitkräften begleitet, zunächst bloß einem Aufklärungsschiff der Vischnya-Klasse.

Die westlichen Anrainer kennen diese Schiffe sehr gut, schon wegen der markanten Radaraufbauten. Routine einerseits. Aber die Anwesenheit der Russen löst dennoch Sicherheitsvorkehrungen aus. Die Nutzung privater Handys ist für die Seeleute auf U-Booten eigentlich immer tabu, neben den Positionsdaten durch eingeloggte Handys sollten einem Kontakt- und Bankdaten zusätzlich lieb sein.

Spannung kam auf, als dann noch zwei weitere russische Kriegsschiffe hinzukamen. Es handelte sich um Korvetten der Stereguschtschiy-Klasse, Schiffe, die zur Jagd auf U-Boote spezialisiert sind. An Bord befanden sich gefechtsmäßig aufgerüstete Mannschaften. Die beiden Schiffe, Boykiy und Soobrazitelny, gehören zur Baltischen Flotte. Sobald U33 abtauchte, hielt eine der Korvetten auf die Stelle zu. Wäre das deutsche Boot nicht schnell tief getaucht, hätten die Russen das Sehrohr einfach überfahren können, heißt es bei der Marine. Mit ihrem aktiven Sonar versuchten sie zudem, den Fuchs ins Visier zu bekommen. Man kann solche knirschenden Sonargeräusche auch später an Bord von U33 hören. Sie werden ausgesendet, um aus den Reflexionen der Lautwellen Schlüsse auf Größe und Position eines Bootes zu ziehen.

Zudem kreiste ein russischer Seefernaufklärer über dem Übungsgebiet, der allerdings Abstand hielt. Über einen Mangel an Aufmerksamkeit kann sich U33 also nicht beklagen. Solche Begegnungen, von denen die Mannschaft zu berichten weiß, stärken die Gewissheit, dass sich auch in der Ostsee die Zeiten gründlich verändert haben. Russland habe es in der Region derzeit vor allem auf Spionage abgesehen, seine Schiffe vermessen unterseeische Kabel- und Energieleitungen.

Wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichtet, sind deutsche U-Boote in der Ostsee ständig auf der Hut vor russischen Schiffen. Die russische Marine versuche, die Bewegungen der deutschen U-Boote zu verfolgen und Informationen über deren Position und Aktivitäten zu sammeln. Dies deute auf ein zunehmend aggressives Verhalten der russischen Marine in der Region hin.

Die deutsche Marine betont jedoch, dass die Begegnungen mit russischen Schiffen bisher stets professionell verlaufen seien. Man sei sich der russischen Aktivitäten bewusst und treffe entsprechende Vorkehrungen, um die Sicherheit der deutschen U-Boote und ihrer Besatzungen zu gewährleisten.

Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung

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