19.10.2024
Irans Schicksalswahl in Zeiten der Krise
Die Neuwahl im Iran kommt in unruhigen Zeiten: der eskalierende Nahostkonflikt, internationale Sanktionen und Währungsverfall. Zur Stichwahl am 5. Juli stehen ein Hardliner und ein Reformer. Doch ändern wird sich mit einem neuen Präsidenten nicht viel. Die Machtverhältnisse im Iran Der Iran wird seit der sogenannten Islamischen Revolution von 1979 autoritär von einem schiitischen geistlichen Führer regiert, derzeit ist das Ayatollah Ali Khamenei. Er ist das Staatsoberhaupt, und das politische System ist auf ihn und seine Machtposition zugeschnitten. Der Präsident hat eine eher repräsentative Funktion. Die Regierung im Iran versteht sich als Stellvertretung Gottes. Die Rechtsordnung im Iran wird als Ausdruck der göttlichen Ordnung interpretiert, und bisweilen wird sogar die Position Gottes als die eines Gesetzgebers definiert, sagt der Islamwissenschaftler Reinhard Schulze. Khamenei ist die oberste Entscheidungsgewalt in diesem religiösen System. In den letzten Jahren hat sich nach Ansicht von Schulze eine Machtverschiebung im Iran ergeben. Die iranische Regierung wurde immer stärker der Führung des obersten Geistlichen, Ayatollah Khamenei, unterstellt. Es gibt kaum noch Spielräume für Präsident und Parlament, eine eigene Entscheidungsgewalt zu entwickeln, die sich gegen Khamenei stellen könnte. Wer durfte zur Wahl antreten? Die Kandidaten, die für die Präsidentenwahl ausgewählt wurden, wetteiferten darum, wer der loyalste Anhänger Khameneis ist, sagt Schulze. Sie wurden vom zwölfköpfigen Wächterrat ausgewählt, der zur Hälfte von Khamenei bestimmt wird und als ultrakonservativ gilt. Zur Wahl zugelassen wurden nur sechs von ursprünglich 80 Bewerbern; zwei Kandidaten zogen sich später zurück. Die nun zur Stichwahl zugelassenen Politiker Dschalili und Peseschkian zählten bereits vorher zu den Favoriten. Said Dschalili, der frühere Unterhändler der Atomverhandlungen, gilt als enger Vertrauter Khameneis und als Hardliner innerhalb des gesamten Systems. Der frühere Gesundheitsminister Massud Peseschkian wurde als einziger Kandidat den Reformern zugerechnet. Welche Auswirkungen könnte die Wahl haben? Die Iran-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik, Azadeh Zamirirad, geht davon aus, dass die Wahl kaum etwas an der politischen Lage im Iran ändern wird. In Bezug auf mögliche Reformen seien die innenpolitischen Grenzen sehr eng gesteckt. Wichtige Entscheidungen würden ausschließlich von Khamenei getroffen. Trotzdem sei es wichtig, wer Präsident wird, weil der jetzige Revolutionsführer Khamenei mit 85 Jahren schon alt und relativ krank sei, sagt Iran-Expertin Zamirirad. Der Fokus liege daher nicht auf den Präsidentschaftswahlen oder gesellschaftspolitischen Reformen, sondern auf seiner Nachfolge. Ähnlich bewertet die Menschenrechtlerin Shora Haschemi die Situation. Sie ist Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich. Der Wächterrat, in dem sechs gewählte Juristen und sechs Geistliche sitzen, hat nur Peseschkian aus dem Reformerlager als Präsidentschaftskandidaten zugelassen. Dahinter steckt das Kalkül, dass der Präsident weiterhin das Regime des Ayatollahs an der Spitze unterstützen soll. Dass der moderat konservative Kandidat Peseschian überhaupt zugelassen wurde, zeigt, dass er dem Regime natürlich nahesteht – auch er werde das Land nicht grundlegend verändern, schätzt ARD-Korrespondentin Karin Senz. Wie steht die Bevölkerung zu den Wahlen? Es gebe natürlich die Anhänger des Regimes, die ihre Kandidaten feiern. Diese wollten ein ‚Weiter so‘, trotz der wirtschaftlich desolaten Situation, so ARD-Korrespondentin Senz. Aber es gebe auch viele, vor allem junge Leute, die nicht wählen, zum einen, weil es sie schlicht nicht interessiere, zum anderen, weil sie dem Regime nicht mehr trauen würden. So ist die Wahlbeteiligung kontinuierlich gesunken, ganz massiv seit 2020 und lag bei der Präsidentenwahl am 28. Juni schließlich bei historisch schlechten 40 Prozent. „Wir sehen, dass immer mehr Leute, immer mehr Iranerinnen und Iraner, Wahlen schlicht nicht mehr als Kanal sehen für politischen Wandel“, sagt Iran-Expertin Zamirirad. Gottesstaat und Kopftuchzwang Nach Einschätzung der Menschenrechtlerin Shora Haschemi lehnt inzwischen die Mehrheit der Iraner den islamischen Gottesstaat ab. Die Kopftuchfrage ist dabei zentral für das islamistische Regime, besonders seit der Revolte von 2022. Politische Beobachter sagen voraus, dass mit dem Ende des Schleiergebots im Iran auch das Regime der Mullahs fallen könnte. Deshalb werden drakonische Strafen für Frauen ohne Kopftuch verhängt, die von der Sittenpolizei und Teilen der Revolutionsgarden brutal durchgesetzt werden. Mehr zum Iran - Wahlen im Iran - Die Hisbollah - Nach dem Tod von Raisi - Nach Hubschrauberabsturz - Irans Präsident Entdecken Sie den Deutschlandfunk - Programm - Alle Sendungen - Die Nachrichten - Nachrichtenleicht - Neue Beiträge auf dlf.de - Themen-Schwerpunkte - Korrekturen Hören - Livestream - Audios - Podcasts - Apps - Frequenzen Kontakt - Hörerservice - Social Media Service - FAQ - Newsletter - Veranstaltungen - Musikliste - RSS Über uns - Deutschlandradio - Presse - Ausbildung und Karriere - Funkhaus Köln - Deutschlandradio © 2024 - Deutschlandradio - Datenschutzerklärung - Nutzungsbedingungen - Impressum - Partner - ARD - ZDF - Phoenix - arte - Chronik der Mauer
Weitere
Artikel