19.10.2024
Ungarn fordert EU-Ausgleich für Flüchtlingsabwehrkosten

Ungarn bittet zur Kasse: Orban will Geld von EU für seine Anti-Migranten-Politik

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán hat angekündigt, die Europäische Union (EU) für die Ausgaben zu belangen, die seit 2015 im Rahmen der Flüchtlingsabwehr angefallen sind. In einer kürzlich veröffentlichten Verordnung, die im Ungarischen Gesetzblatt erschienen ist, wird dargelegt, dass Ungarn für den Schutz der EU-Außen- und Schengen-Grenzen rund zwei Milliarden Euro ausgegeben hat. Orbán argumentiert, dass die EU diesem Betrag verpflichtet sei und prüft, ob diese Summe gegen die Zwangsgelder aufgerechnet werden kann, die der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Juni 2024 gegen Ungarn verhängt hat.

Die Zwangsgelder resultieren aus der Entscheidung des EuGH, dass Ungarn 200 Millionen Euro sowie ein tägliches Zwangsgeld von einer Million Euro für jeden Tag des Verzugs zahlen muss, weil das Land höchstrichterliche Entscheidungen zum Asylsystem nicht umgesetzt hat. Der EuGH stellte fest, dass Ungarn EU-Verträge verletzt hat, indem es die Anwendung einer gemeinsamen Asylpolitik bewusst umgeht. Dies wird als außergewöhnlich schwere Verletzung des EU-Rechts eingestuft.

Die ungarische Regierung hat seit der Flüchtlingskrise im Sommer 2015 eine strikte Anti-Migrationspolitik verfolgt. In diesem Kontext wurden Stacheldrahtzäune an den Grenzen zu Serbien und Kroatien errichtet, um die Einreise irregulärer Migranten zu verhindern. Diese Maßnahmen führten dazu, dass nur noch wenige Migranten über die Balkan-Route nach Ungarn gelangten.

Orbán hat die ungarische Flüchtlingspolitik als erfolgreich bezeichnet und sieht die EU in der Pflicht, die finanziellen Aufwendungen, die Ungarn für den Schutz der Grenzen aufgebracht hat, zu erstatten. Die Verordnung, die die Grundlage für diese Forderung bildet, weist darauf hin, dass die ungarischen Behörden beauftragt wurden, zu prüfen, wie diese Forderung konkret umgesetzt werden kann.

Die Forderung nach finanzieller Entschädigung kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die Beziehungen zwischen Ungarn und der EU angespannt sind. Der EuGH hatte bereits in der Vergangenheit Urteile gefällt, die Ungarns Asylpolitik kritisierten. Ein Urteil aus dem Jahr 2020 hatte sich mit den Bedingungen in den mittlerweile geschlossenen Transitlagern an der Grenze zu Serbien befasst. Das Gericht hatte die ungarische Regelung, die es Schutzsuchenden vorschrieb, zunächst ein Vorverfahren in ungarischen Botschaften zu durchlaufen, bevor sie Asyl in Ungarn beantragen konnten, als rechtswidrig eingestuft. Diese Praxis ist jedoch nach wie vor in Ungarn in Kraft.

Die ungarische Regierung hat in der Vergangenheit wiederholt betont, dass sie die Einwanderung als Bedrohung für die nationale Sicherheit und die kulturelle Identität Ungarns ansieht. Orbán und seine Fidesz-Partei haben sich in ihren Kampagnen stark auf das Thema Migration konzentriert und dabei Ängste in der Bevölkerung geschürt. Diese Rhetorik hat nicht nur die Wählerbasis von Fidesz gestärkt, sondern auch die ungarische Politik in einen Konflikt mit den Werten der EU geführt.

Die EU sieht sich nun vor der Herausforderung, eine Balance zwischen der Einhaltung ihrer Rechtsstaatlichkeitsprinzipien und der Notwendigkeit, mit einem Mitgliedstaat umzugehen, der sich zunehmend von den gemeinsamen Werten der Union entfernt. Orbáns Forderung nach finanzieller Entschädigung könnte als Versuch gewertet werden, die EU unter Druck zu setzen und gleichzeitig die ungarische Bevölkerung hinter seiner Regierung zu vereinen.

Die Situation wirft auch Fragen über die zukünftige Zusammenarbeit zwischen Ungarn und der EU auf. Angesichts der Tatsache, dass Ungarn auf EU-Finanzhilfen angewiesen ist, könnte die EU gezwungen sein, einen Kompromiss zu finden, um eine weitere Eskalation der Spannungen zu vermeiden. Die ungarische Regierung hat in der Vergangenheit bereits signalisiert, dass sie bereit ist, bestimmte Bedingungen zu akzeptieren, um den Zugang zu EU-Mitteln zu sichern. Ob diese Zugeständnisse jedoch ausreichen, um die Bedenken der EU hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte in Ungarn auszuräumen, bleibt abzuwarten.

Insgesamt steht Ungarn vor einer komplexen Situation, in der die Forderung nach finanzieller Entschädigung für die Anti-Migrationspolitik sowohl als strategisches Manöver als auch als Ausdruck der tiefen Kluft zwischen den ungarischen nationalen Interessen und den Anforderungen der EU interpretiert werden kann. Die kommenden Monate werden entscheidend sein, um zu sehen, wie sich die Beziehungen zwischen Ungarn und der EU entwickeln und ob es Orbán gelingt, seine politischen Ziele sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene durchzusetzen.

Quellen: Zeit Online, Süddeutsche Zeitung, Deutsche Welle, taz.

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