Die Frage, ob Hass auf Israel mit Antisemitismus gleichzusetzen ist, wird seit dem 7. Oktober 2023, dem Tag des Hamas-Angriffs auf Israel, verstärkt diskutiert. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) berichtet, war die eindeutige Abgrenzung von Kritik an Israel und Judenhass schon vor diesem Datum Thema öffentlicher Debatten, gewann aber durch die jüngsten Ereignisse eine neue Brisanz. Bereits im Jahr 2000, zu Beginn der Zweiten Intifada, wurde die Haltung „Ich hasse Israel“ in der arabischen Welt, beispielsweise durch den ägyptischen Volkssänger Schaaban Abdel Rahim, populär, wie die FAZ berichtet. Damals fehlte jedoch noch der heutige breite gesellschaftliche Diskurs über Antisemitismus.
Die sogenannte 3-D-Regel, entwickelt vom israelischen Politiker Natan Scharanski, bietet eine Orientierungshilfe zur Unterscheidung von legitimer Kritik und Antisemitismus, wie der SWR erläutert. Diese Regel besagt, dass Israelkritik antisemitische Züge annimmt, wenn sie Doppelstandards anlegt, Israel dämonisiert oder delegitimiert. Doppelstandards liegen vor, wenn an Israel höhere moralische Ansprüche gestellt werden als an andere Staaten mit Menschenrechtsverletzungen. Dämonisierung bedeutet die Darstellung Israels als inhärent böse Macht oder als Wurzel allen Übels. Delegitimierung stellt die Existenzberechtigung Israels als Staat grundsätzlich infrage.
Wie Prof. Samuel Salzborn, Antisemitismusbeauftragter des Landes Berlin, in einem Interview mit den Arolsen Archives ausführt, ist die Unterscheidung zwischen sachlicher Kritik und antisemitischem Ressentiment anhand der 3-D-Regel möglich. Kritik beziehe sich auf konkrete Handlungen, sei sachlich und nicht emotional überladen. Antisemitische Äußerungen hingegen dämonisierten, delegitimierten und legten Doppelstandards an. Salzborn betont, dass es keine Grauzone beim Antisemitismus gebe und dieser in allen politischen Milieus vorkomme.
Die TU Berlin-Professorin Monika Schwarz-Friesel argumentiert in der Welt, dass Judenhass und Israelhass eine untrennbare Symbiose bilden. Sie kritisiert die Reaktionen auf den Hamas-Angriff vom 7. Oktober und das ausbleibende internationale Entsetzen über die Gräueltaten. Stattdessen habe es eine Verhöhnung der Opfer und Täter-Opfer-Umkehrungen gegeben, die das alte antisemitische Argument, die Juden seien selbst schuld an ihrem Unglück, reproduzierten.
Wie Juliane Wetzel, Historikerin und Antisemitismus-Forscherin an der TU Berlin, gegenüber dem ZDF erklärt, ist Antizionismus eine Bewegung, die die Idee eines jüdischen Staates ablehnt. Diese Ablehnung existiere bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Problematisch wird Antizionismus, so Prof. Lars Rensmann, Politikwissenschaftler an der Universität Passau, ebenfalls im ZDF-Interview, wenn die Existenzberechtigung Israels infrage gestellt wird. Dies führe häufig zu Antisemitismus.
Das Anne Frank Haus stellt klar, dass Kritik an der Politik israelischer Regierungen nicht per se antisemitisch ist. Jedoch werde die Grenze überschritten, wenn Israel das Existenzrecht abgesprochen oder mit Nazi-Deutschland verglichen wird. Auch die persönliche Verantwortlichmachung von Juden für die Politik Israels sei eine Form von Antisemitismus. Die taz betont die Komplexität der Abgrenzung und rät Polizei und Justiz, sich auf eindeutige Fälle zu konzentrieren. Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass die Definition Israels als „jüdischer Staat“ kritisierbar sei.
Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) beschäftigt sich ebenfalls mit israelbezogenem Antisemitismus. Sie erläutert, dass dieser oft als Mittel dient, judenfeindliche Ressentiments zu verbreiten, ohne explizit von "den Juden" sprechen zu müssen. Die bpb verweist auf die lange Geschichte des Antisemitismus und seine vielfältigen Erscheinungsformen.
Quellen:
- Frankfurter Allgemeine Zeitung: https://www.faz.net/aktuell/politik/krieg-in-nahost/abgrenzung-zum-antisemitismus-darf-man-israel-hassen-110131911.html
- SWR Wissen: https://www.swr.de/wissen/1000-antworten/wann-ist-israelkritik-antisemitisch-106.html
- Welt: https://www.welt.de/debatte/kommentare/article252143806/Israel-Hass-Bildung-ist-keine-Garantie-gegen-Antisemitismus.html
- ZDF: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/israel-nahost-konflikt-gaza-antisemitismus-antizionismus-100.html
- Arolsen Archives: https://arolsen-archives.org/news/israelbezogener-antisemitismus-da-gibt-es-keine-grauzone/
- Bundeszentrale für politische Bildung: https://www.bpb.de/themen/antisemitismus/dossier-antisemitismus/326790/israelbezogener-antisemitismus/
- taz: https://taz.de/Antisemitismus-und-Strafrecht/!5767539/
- Anne Frank Haus: https://www.annefrank.org/de/themen/antisemitismus/ist-kritik-israel-antisemitisch/