Der Büchnerpreisträger Jürgen Becker ist tot. Wie der Suhrkamp Verlag mitteilte, starb der Autor am vergangenen Donnerstag im Alter von 92 Jahren in Köln. Becker, geboren 1932, zählte zur sogenannten skeptischen Generation, die den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg in ihrer Kindheit oder Jugend erlebte. Diese Erfahrung prägte sein Werk nachhaltig, wie Dirk von Petersdorff in seinem Nachruf in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (10.11.2024) schreibt. Die Skepsis gegenüber Ideologien und die frühen Erschütterungen spiegelten sich in seinen Gedichten, Hörspielen und Erzählungen wider.
Beckers Werk zeichnet sich durch eine besondere Zurückhaltung aus. Es verzichtet auf starke Überzeugungen oder pathetische Ausbrüche. Stattdessen findet man eine intensive Beobachtung der Wirklichkeit, eine präzise Sprache und eine tiefe Verbundenheit mit der Landschaft. Wie von Petersdorff in der FAZ berichtet, blieben die Traumata des Krieges und der persönliche Verlust der Mutter zeitlebens präsent. Gleichzeitig nutzte Becker die Chancen der Nachkriegszeit und fand seinen Platz in der Medienwelt, unter anderem als Leiter der Hörspielredaktion des Deutschlandfunks.
Seine Gedichte sind oft ungereimt und verzichten auf ausgefeilte Metaphern. Sie leben von der genauen Beobachtung und der Rhythmik des Satzbaus. Becker war ein Realist, der die Wirklichkeit nicht einfach abbildete, sondern auswählte und neu arrangierte. Die alte Bundesrepublik, der Wirtschaftsaufschwung, die Zersiedelung der Landschaft – all das findet sich in seinen Gedichten wieder. Ein Beispiel, das von Petersdorff anführt, ist das Gedicht „Skizzenblock“, das die typische Szenerie der damaligen Zeit einfängt.
Die Verbindung von genauer Beobachtung und künstlerischer Gestaltung zeigt sich auch in Beckers Auseinandersetzung mit bildender Kunst. Wie im FAZ-Nachruf beschrieben, fand die Kunst von Andy Warhol Eingang in seine Gedichte, etwa in dem bekannten Gedicht über den Aprilschnee, das die Vergänglichkeit von Schönheit und Ruhm thematisiert. Becker gehörte zu den „Bildermenschen“, wie auch seine verstorbene Frau, die Malerin Rango Bohne, und sein Sohn, der Fotograf Boris Becker.
Obwohl in Köln geboren, verbrachte Becker prägende Kindheitsjahre in Erfurt. Die Wiedervereinigung ermöglichte ihm die Rückkehr in diese Landschaften, die sein Werk stark beeinflussten. Landschaften sind ein zentrales Thema in Beckers Schaffen. In seinen Gedichten betrieb er eine Art „Landschaftsmalerei in Versen“, wie von Petersdorff es nennt. Titel wie „Das Ende der Landschaftsmalerei“ oder „Dorfrand mit Tankstelle“ zeugen von dieser Auseinandersetzung mit der Natur im Kontext der modernen Welt.
Wie Norbert Hummelt im Tagesspiegel (17.07.2024) anlässlich Beckers 90. Geburtstags schrieb, setzte der Dichter seine „zauberhafte Chronik des Alltäglichen“ bis ins hohe Alter fort. Auch Nico Bleutge betonte in der Süddeutschen Zeitung (08.07.2022) die Bedeutung der Landschaft und der präzisen Wahrnehmung für Beckers Schreiben. Bleutge beschrieb Beckers Stil als eine Art Journal, das auch unscheinbare Einfälle festhält und mit historischen Resten und Erinnerungen verwebt.
Bernd Berke würdigte in den Revierpassagen (16.08.2024) Beckers späte Lyrik, die sich mit den Themen Schwund, Verschwinden und dem Leben im Alter auseinandersetzt. Becker habe einen ganz eigenen Kosmos aus Lyrik und Journalen geschaffen, so Berke. Auch die Kölnische Rundschau (05.07.2022) berichtete über Beckers Leben und Werk anlässlich seines 90. Geburtstags. Dieter Kaltwasser würdigte in literaturkritik.de (05.11.2014) Beckers "vollendete und unaufdringliche Sprachkunst" anlässlich der Verleihung des Büchnerpreises.
Quellen: