Die rasante Entwicklung von KI-Systemen wirft zunehmend Fragen nach deren gesellschaftlicher Integration und den damit verbundenen soziologischen Implikationen auf. Ein zentraler Aspekt ist die Diskussion um künstliche Empfindsamkeit, ein Thema, das sowohl Faszination als auch Besorgnis hervorruft. Wie Boris Holzer in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) anmerkt, ist die Bezeichnung "Künstliche Intelligenz" für aktuelle Systeme wie ChatGPT irreführend. Diese Systeme sind zwar in der Lage, komplexe Texte zu generieren, ihre Funktionsweise basiert jedoch auf dem Erlernen von Mustern und nicht auf einem Verständnis von Sprache oder gar Empfindsamkeit.
Die Soziologie steht vor der Herausforderung, die Rolle von KI in der Gesellschaft zu definieren und die damit einhergehenden Veränderungen zu analysieren. Ein wichtiger Punkt ist die Frage nach der Normierung und Kontrolle von KI. Wie können wir sicherstellen, dass KI-Systeme im Einklang mit gesellschaftlichen Werten und Normen eingesetzt werden? Karsten Weber und Nadine Kleine von der OTH Regensburg betonen die Notwendigkeit sektoraler Normierungen, da ein globaler Ansatz aufgrund des Wertepluralismus schwierig umzusetzen sei. Sie argumentieren, dass neben der Regulierung von Entwicklung und Einsatz auch die normierende Wirkung von KI selbst stärker betrachtet werden müsse. KI-Systeme beeinflussen beispielsweise Sprache, Bildklassifizierung und Entscheidungsfindungsprozesse und können so ungewollt diskriminierend wirken oder menschliche Autonomie untergraben.
Fabian Anicker schlägt in der Zeitschrift für Theoretische Soziologie vor, KI-Systeme als "sozialisierte Maschinen" zu betrachten, die implizites Wissen inkorporieren und ersetzen. Diese Perspektive ermöglicht es, die Funktion von KI in der Gesellschaft zu verstehen und die potenziellen Verschiebungen von Kontroll- und Machtverhältnissen zu analysieren.
Die Diskussion um künstliche Empfindsamkeit ist eng mit der Frage nach dem Mensch-Maschine-Verhältnis verknüpft. Soziopolis.de beleuchtet in einem Dossier die verschiedenen Facetten von KI, von den technischen Eigenschaften über die populären Narrative bis hin zu den gesellschaftlichen Folgen. Helga Nowotny untersucht die Macht algorithmischer Vorhersagen und deren Einfluss auf Handlungsspielräume. Antonio A. Casilli kritisiert die prekären Arbeitsbedingungen der Clickworker, die die KI-Systeme der Tech-Konzerne am Laufen halten. Diese Beispiele verdeutlichen die Komplexität der Thematik und die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung.
Die Soziologie von KI-Systemen ist ein junges Forschungsfeld, das sich mit den vielfältigen Auswirkungen von KI auf die Gesellschaft auseinandersetzt. Die Frage nach künstlicher Empfindsamkeit bleibt dabei ein zentraler Punkt, der sowohl wissenschaftliche als auch ethische Fragen aufwirft. Die weitere Forschung und eine breite gesellschaftliche Debatte sind unerlässlich, um die Chancen und Risiken von KI zu verstehen und einen verantwortungsvollen Umgang mit dieser Technologie zu gewährleisten.
- Frankfurter Allgemeine Zeitung: Künstliche Empfindsamkeit: KI hat womöglich das Potential zur Arglist - KImeGe: KI als sozialwissenschaftliche Herausforderung - Zeitschrift für Theoretische Soziologie: Sozialisierte Maschinen. Zur gesellschaftlichen Funktion von Künstlicher Intelligenz - Soziopolis: In Sachen KI - Treng: Aktuelle Nachrichten