Sasha Marianna Salzmann, Preisträgerin des Kleist-Preises 2024, konfrontiert in ihrer Dankesrede, die die Süddeutsche Zeitung in gekürzter Fassung dokumentierte (SZ, 17.11.2024), Deutschland mit seiner Vergangenheit und Gegenwart. Sie zeichnet ein Bild einer Gesellschaft, die sich im Schatten der Geschichte verliert und die Sehnsucht nach Unschuld kultiviert, während der Antisemitismus weiter existiert. "Nie wieder" – dieses Mantra, so Salzmann, dient als Beruhigungspille, verdeckt aber die Realität eines wiederauflebenden Judenhasses.
Salzmanns Werk, das Theaterstücke, Romane und Essays umfasst, spiegelt ihre eigene Geschichte und die ihrer Familie wider. Geboren 1985 in Wolgograd, lebt sie heute in Berlin, einer Stadt, die für sie gleichermaßen Anziehungspunkt und Ort der historischen Konfrontation ist. Ihr jüngstes Werk, der Briefwechsel "Gleichzeit" mit Ofer Waldman (Suhrkamp Verlag), dokumentiert die emotionalen Erschütterungen nach den Terroranschlägen vom 7. Oktober und dem darauffolgenden Krieg in Gaza. Wie der rbb in einem Interview mit den beiden Autoren berichtet (rbbKultur, 05.10.2024), markiert dieser Tag einen tiefen Einschnitt in ihrem Leben und ihrer Wahrnehmung der Welt.
In ihrem Essay "Alles nur nicht hier", veröffentlicht auf ihrer Webseite, beschreibt Salzmann Berlin als eine Stadt, die in der Vergangenheit gefangen ist. Die Partyszene, die sich an vergangenen Epochen orientiert, deutet sie als Ausdruck einer Nostalgie nach einer vermeintlich unschuldigeren Zeit. Diese Flucht in die Vergangenheit, so Salzmann, verhindert die Auseinandersetzung mit der Gegenwart und den anhaltenden Problemen, wie dem Antisemitismus.
Der Briefwechsel "Angry Birds – Wutvögel singen wieder", ebenfalls auf Salzmanns Webseite zugänglich, vertieft diese Thematik. In den Briefen, die zwischen Salzmann und Deniz Utlu ausgetauscht werden, wird die Suche nach Identität und Zugehörigkeit in einer von Gewalt und Unsicherheit geprägten Welt thematisiert. Die Protagonisten bewegen sich zwischen Deutschland, Israel und der Türkei, immer auf der Suche nach einem Ort, an dem sie sich sicher und geborgen fühlen können.
Die Autorin und Podcasterin Samira El Ouassil, die in diesem Jahr die alleinige Verantwortung für die Vergabe des Kleist-Preises trug, erkannte die Bedeutung von Salzmanns Werk und ihrer Stimme. Die Süddeutsche Zeitung betont (SZ, 17.11.2024), dass Salzmann mit ihrer Literatur nicht nur die Geschichte ihrer Familie, sondern auch die Geschichte einer ganzen Generation aufarbeitet und die Notwendigkeit einer ehrlichen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und Gegenwart einfordert.
Die Kontroverse um den Boykott israelischer Kultureinrichtungen, über den die Süddeutsche Zeitung am 12. November 2024 berichtete, zeigt die Komplexität der politischen und kulturellen Debatten, in denen sich Salzmann positioniert. Ihre Werke laden dazu ein, sich mit den vielschichtigen Realitäten und den menschlichen Schicksalen in dieser konfliktreichen Region auseinanderzusetzen.
Quellen: