Hengameh Yaghoobifarahs zweiter Roman „Schwindel“ entführt die Leser*innen in eine komplexe Welt queerer Beziehungen und Identitäten. Die Geschichte spielt auf dem Dach eines Hochhauses, wo vier Personen – Ava, Robin, Delia und Silvia – nach einem eskalierten Date gefangen sind. Wie Amira El Ahl in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schreibt, birgt der Titel gleich mehrere Bedeutungen: den Schwindel der Höhe, die Komplexität der Beziehungen und die Täuschungen, die die Protagonist*innen voreinander verbergen.
Ava, die im Zentrum der Handlung steht, befindet sich in einem Beziehungsgeflecht mit drei anderen Personen. Robin, Delia und Silvia repräsentieren unterschiedliche Facetten von Queerness und bringen jeweils eigene Erwartungen und Bedürfnisse in die Dynamik ein. Die ungewollte Nähe auf dem Dach zwingt die vier zur Konfrontation mit ihren Gefühlen und Geheimnissen. Die taz beschreibt die Situation als „komplettes Desaster“, das sich zwischen Dauerkiffen, Traumabonden und Sexpositivität abspielt.
Yaghoobifarahs Sprache ist geprägt von einer Mischung aus Queer-Slang, Anglizismen und einer expliziten Darstellung von Körperlichkeit und Begehren. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, spielt Online-Slang eine wichtige Rolle und verweist auf die Bedeutung des Internets für queere Sozialisation. Ausdrücke wie „Dyke“, „Gender euphoria“ oder „Gay Origin Story“ werden für nicht-queere Leser*innen erläutert, gleichzeitig wird aber auch die Generationenkluft innerhalb der queeren Community thematisiert. So versteht die ältere Lesbe Silvia die Sprache der jüngeren Generation nicht und wird dafür von ihnen kritisiert, wie die FAZ berichtet.
Die nicht-binäre Geschlechtsidentität von Delia spiegelt sich auch in der Sprache wider. Yaghoobifarah verwendet in Delias Erzählperspektive konsequent die Neopronomen „dey“ und „demm“. Der NDR hebt hervor, dass Yaghoobifarah mit dieser formalen Entscheidung die Figur nicht nur inhaltlich, sondern auch stilistisch verkörpert. Diese und andere sprachliche Experimente sind Teil der Tradition queeren Schreibens, das sich gegen die „Seichtigkeit von Belletristik“ wehrt.
Neben dem Fokus auf queeres Begehren behandelt der Roman auch Themen wie Zugehörigkeit, Selbstfindung und das Überleben in einer Gesellschaft, die von Cis-Normativität geprägt ist. Die Gefangenschaft auf dem Dach wird zur Metapher für die Gefangenschaft im eigenen Körper und den gesellschaftlichen Erwartungen. Wie der NDR berichtet, geht es in „Schwindel“ um das „Begehren nach Freiheit, Begehren nach dem Ausbruch aus der Gefangenschaft“.
Yaghoobifarahs Roman ist provokant, unterhaltsam und kompromisslos. Er bietet einen Einblick in die Lebenswelten queerer Menschen und fordert mit seiner Sprache und seinen Themen sowohl konservative Sprachschützer*innen als auch die eigene Community heraus. Der Freitag bezeichnet „Schwindel“ als ein „sehr unterhaltsames, provokantes und kompromissloses Buch über queeres Begehren“.
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