September 18, 2024
Armenien überdenkt seine Beziehungen zu Russland im Kaukasus

Lage im Kaukasus: Eriwan sieht Moskaus Militärbündnis als Bedrohung

Die geopolitische Landschaft im Kaukasus hat sich in den letzten Jahren erheblich verändert, insbesondere im Verhältnis zwischen Armenien und Russland. Der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan hat kürzlich die Kritik an der von Russland geführten Organisation des Vertrags für kollektive Sicherheit (OVKS) verstärkt und bezeichnete diese als Bedrohung für die Sicherheit und Existenz Armeniens. Diese Äußerungen sind Teil eines umfassenderen Trends, in dem sich Eriwan zunehmend von Moskau distanziert.

Historisch gesehen war Russland lange Zeit als Schutzmacht Armeniens im Kaukasus angesehen, insbesondere im Kontext des Konflikts mit dem benachbarten Aserbaidschan. Nach dem Zerfall der Sowjetunion im Jahr 1991 war Armenien einer der Mitbegründer der OVKS, die 1992 unter der Führung Moskaus ins Leben gerufen wurde. Diese Allianz sollte den Mitgliedstaaten Sicherheit bieten und sie vor äußeren Bedrohungen schützen. Doch die Realität sieht anders aus. Laut Paschinjan hat die OVKS ihre Verpflichtungen zur Gewährleistung der Sicherheit Armeniens nicht erfüllt, was zu einem Vertrauensverlust und einer zunehmenden Entfremdung geführt hat.

Im Februar 2024, nach der Niederlage Armeniens im Konflikt um die Region Bergkarabach, kündigte Eriwan an, seine Mitgliedschaft in der OVKS einzufrieren. Diese Entscheidung fiel vor dem Hintergrund wachsender Spannungen zwischen Armenien und Russland. Paschinjan betonte, dass der Konflikt mit der OVKS bereits seit zwei Jahren schwelt und dass die Fragen zur Sicherheit Armeniens, die damals aufgeworfen wurden, bis heute unbeantwortet geblieben sind. Die Wahrscheinlichkeit einer endgültigen Abkehr von der Militärallianz bezeichnete er als hoch.

Die passiven Reaktionen Russlands während der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Armenien und Aserbaidschan haben die Situation weiter verschärft. Trotz der Präsenz russischer Truppen in der Region blieben diese während der Konflikte weitgehend untätig. Im vergangenen Jahr flohen mehr als 100.000 ethnische Armenier aus Bergkarabach, als aserbaidschanische Truppen die Kontrolle über die Region zurückerlangten. Zu diesem Zeitpunkt war Russland mit der Besetzung ukrainischer Gebiete beschäftigt, was den Eindruck verstärkte, dass Eriwan in der entscheidenden Phase des Konflikts auf sich allein gestellt war.

Die Beziehung zwischen Armenien und Russland hat sich weiter kompliziert, insbesondere durch den Verdacht, dass Belarus, ein Mitglied der OVKS, Aserbaidschan im Konflikt unterstützt hat. Im Juni 2024 zogen beide Länder ihre Botschafter ab, was die Spannungen weiter eskalierte. Alexander Lukaschenko, der belarussische Präsident, hatte in Gesprächen mit Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev angedeutet, dass der Konflikt um Bergkarabach gewonnen werden könne und sprach von einem Befreiungskrieg. Diese Äußerungen haben in Armenien Besorgnis ausgelöst und das Misstrauen gegenüber der OVKS weiter verstärkt.

Die geopolitischen Implikationen dieser Entwicklungen sind weitreichend. Armenien, das sich früher auf Russland als seinen Hauptverbündeten verlassen konnte, sieht sich nun gezwungen, seine strategischen Optionen zu überdenken. Die wachsende Distanz zu Moskau könnte dazu führen, dass Eriwan nach neuen Allianzen sucht, möglicherweise im Westen oder bei anderen regionalen Akteuren. Diese Veränderungen könnten nicht nur die Sicherheit Armeniens, sondern auch die Stabilität der gesamten Kaukasusregion beeinflussen.

In Anbetracht der komplexen politischen Dynamik und der anhaltenden Spannungen zwischen Armenien und Aserbaidschan bleibt abzuwarten, wie sich die Situation weiterentwickeln wird. Die internationale Gemeinschaft, einschließlich der OSZE, hat wiederholt die Notwendigkeit eines Dialogs und einer friedlichen Lösung des Konflikts betont. Doch die Herausforderungen sind erheblich, und die geopolitischen Interessen der beteiligten Staaten könnten die Bemühungen um Frieden und Stabilität behindern.

Die Situation im Kaukasus bleibt angespannt, und die Entwicklungen in Armenien und Aserbaidschan werden weiterhin genau beobachtet. Die Frage, ob Armenien endgültig von der OVKS abkehrt und welche neuen Allianzen es eingehen könnte, wird entscheidend für die künftige Sicherheit und Stabilität in der Region sein.

Quellen: Zeit Online, Der Tagesspiegel, Kurier.

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