Der Kampf gegen die Bürokratie ist ein ständiges Thema in der deutschen Politik. Regelmäßig werden neue Initiativen und Gesetze verkündet, die die überbordenden Vorschriften vereinfachen und die Wirtschaft entlasten sollen. Die Praxis zeigt jedoch ein anderes Bild. Wie die F.A.Z. berichtet, besteht eine erhebliche Diskrepanz zwischen den von der Politik verkündeten Erfolgen und der tatsächlichen Entlastung der Unternehmen. Das Bürokratieentlastungsgesetz der Ampel-Koalition, das vierte seiner Art seit 2015, wurde vom damaligen Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) als „das größte Bürokratieabbau-Programm in der Geschichte unseres Landes“ bezeichnet (F.A.Z.). Diese angebliche Entlastung kommt in der Wirtschaft jedoch nicht an. Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen und Politik, bemängelt, dass die Entlastungen zwar vereinzelt existieren, aber für die Unternehmen nicht spürbar sind (F.A.Z.).
Klaus-Heiner Röhl vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) beziffert die erwarteten Entlastungswirkungen der verschiedenen Bürokratieentlastungsgesetze seit 2015 auf insgesamt 3,2 Milliarden Euro, in der aktuellen Legislaturperiode auf etwa 1,4 Milliarden Euro (F.A.Z.). Der Bürokratiekostenindex zeigt zwar einen leichten Rückgang, dieser bildet laut Sarah Necker, Leiterin des Ifo-Forschungszentrums für Soziale Marktwirtschaft und Institutionenökonomik, jedoch nur einen Teil der tatsächlichen Kosten ab. Einmalige Informationspflichten oder der Aufwand für die Umsetzung von EU-Vorgaben werden nicht erfasst, so Necker gegenüber der F.A.Z. Tatsächlich seien die Bürokratiekosten seit 2008 inflationsbereinigt sogar um 16,5 Milliarden Euro gestiegen (F.A.Z.).
Ein zentraler Kritikpunkt ist die Umsetzung von EU-Richtlinien, insbesondere die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Diese verursacht laut Necker jährliche Mehrkosten von 1,6 Milliarden Euro – der größte Anstieg an Bürokratiekosten seit Beginn der Messungen (F.A.Z.). Kirchdörfer schätzt die tatsächliche Belastung sogar auf das Drei- bis Fünffache (F.A.Z.).
Die Schwierigkeiten des Bürokratieabbaus liegen laut Deutschlandfunk auch in der Komplexität des Themas begründet. Die Definition von "Bürokratieabbau" sei oft unklar. Handelt es sich um die Reduzierung staatlicher Aufgaben, den Abbau von Stellen im öffentlichen Dienst oder die Vereinfachung von Verwaltungsprozessen? Häufig würden diese Ebenen vermischt, was eine zielführende Lösung des Problems erschwere. Auch die Konzentration auf einzelne Gesetze und Verordnungen reiche nicht aus. Stattdessen müsse die gesamte Verwaltungsorganisation und das Zusammenspiel verschiedener Behörden betrachtet werden (Deutschlandfunk).
Die "One in, one out"-Regel, die seit 2015 in Deutschland gilt und neue Belastungen durch den Abbau alter Vorschriften kompensieren soll, verdeutlicht die Probleme des Bürokratieabbaus, wie die Tagesschau berichtet. Laut Normenkontrollrat habe die Regel zwar anfängliche Erfolge erzielt, in den letzten Jahren seien die Belastungen jedoch deutlich höher als die Entlastungen gewesen (Tagesschau). Ein Problem seien die zahlreichen Ausnahmen von der Regel, beispielsweise für die Umsetzung von EU-Vorgaben. Gerade die EU produziere aber kontinuierlich neue Vorschriften, wie auch der Zentrale Dachverband des Deutschen Handwerks (ZDH) kritisiert. Handwerkspräsident Jörg Dittrich fordert in der "Welt am Sonntag" einen Paradigmenwechsel und schlägt eine "One in, two out"-Regel vor, um die Bürokratie effektiv zu reduzieren (ZDH).
Auch Bundesjustizminister Marco Buschmann räumte in einem Interview mit dem Focus ein, dass der Bürokratieabbau in Deutschland durch die EU-Gesetzgebung behindert werde. Er forderte ein stärkeres Engagement der EU für den Bürokratieabbau und schlug unter anderem ein striktes "One in, two out"-Prinzip für neue EU-Vorschriften vor (BMJ). Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz setzt auf sogenannte "Praxischecks", in denen gemeinsam mit Unternehmen und Behörden nach bürokratischen Hürden gesucht wird (BMWK). Ob diese Maßnahmen zu einer spürbaren Entlastung führen, muss sich erst zeigen.
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