19.10.2024
Die historische Wurzel der ostdeutschen Russlandbeziehungen

Woher die ostdeutsche Russlandliebe rührt: 80 Jahre Hitler-Stalin-Pakt

Am 23. August 2024 jährt sich der Hitler-Stalin-Pakt zum 85. Mal. Dieser Vertrag, der zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion unterzeichnet wurde, hat nicht nur den Verlauf des Zweiten Weltkriegs maßgeblich beeinflusst, sondern auch die politischen und kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland bis in die Gegenwart. Der Pakt, der offiziell als Nichtangriffsvertrag bekannt ist, legte den Grundstein für die Teilung Polens und die Aufteilung Osteuropas in Interessensphären zwischen den beiden totalitären Regimen.

Die Unterzeichnung des Paktes durch die Außenminister Joachim von Ribbentrop und Wjatscheslaw Molotow in Moskau war ein entscheidender Moment in der europäischen Geschichte. Die Vereinbarung erlaubte es Hitler, Polen am 1. September 1939 anzugreifen, ohne die Sorge vor einem sowjetischen Eingreifen zu haben. Dies führte zur schnellen Niederlage Polens und zur Teilung des Landes zwischen den beiden Mächten. Der geheime Zusatzprotokoll des Paktes regelte die Aufteilung der Einflusszonen und machte die territoriale Neuordnung in Osteuropa möglich.

Die Auswirkungen des Hitler-Stalin-Paktes sind bis heute spürbar. In Ostdeutschland, wo die sowjetische Besatzung nach dem Zweiten Weltkrieg eine prägende Rolle spielte, hat sich eine ambivalente Beziehung zu Russland entwickelt. Während in vielen osteuropäischen Ländern die Lehren aus der Geschichte des Stalinismus und der sowjetischen Besatzung klarer reflektiert werden, scheinen die Ostdeutschen die negativen Aspekte dieser Vergangenheit weitgehend verdrängt zu haben. Diese Verdrängung hat zu einer besonderen Form der Russlandliebe geführt, die sich in verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Bewegungen niederschlägt.

Die Gründe für diese ostdeutsche Russlandliebe sind vielfältig. Einerseits gibt es eine nostalgische Verklärung der DDR-Zeit, in der viele Menschen eine gewisse Sicherheit und soziale Stabilität erlebten. Die Erinnerung an die sozialistischen Ideale und die vermeintliche Solidarität mit der Sowjetunion wird oft idealisiert. Andererseits spielt auch die geopolitische Lage eine Rolle. Ostdeutschland befindet sich in einer besonderen Position zwischen West- und Osteuropa, was zu einem komplexen Verhältnis zu Russland führt.

Die politische Agenda in Ostdeutschland wird häufig von einer kritischen Haltung gegenüber der NATO und der westlichen Außenpolitik geprägt. Viele Ostdeutsche sehen in Russland einen wichtigen Partner, insbesondere in Zeiten, in denen die Beziehungen zu den USA und anderen westlichen Ländern angespannt sind. Diese Sichtweise wird durch die Wahrnehmung verstärkt, dass Russland als Gegenpol zu einer vermeintlichen Übermacht des Westens fungiert.

Die Erinnerungskultur in Deutschland ist stark von der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus geprägt. In Ostdeutschland wird jedoch oft eine andere Perspektive auf die Geschichte eingenommen. Während die westdeutsche Gesellschaft sich intensiv mit der eigenen Schuld und der Verantwortung für die Verbrechen des NS-Regimes auseinandersetzt, wird in Ostdeutschland häufig eine Opferperspektive eingenommen. Diese Sichtweise führt dazu, dass die sowjetische Besatzung und die damit verbundenen Repressionen nicht in dem Maße thematisiert werden wie die Verbrechen des Nationalsozialismus.

Die Ostdeutschen haben oft das Gefühl, dass ihre Erfahrungen und die Geschichte der DDR nicht ausreichend gewürdigt werden. Dies führt zu einer Suche nach Identität und einem Bedürfnis, die eigene Geschichte in einem positiven Licht darzustellen. In diesem Kontext wird die Russlandliebe als Teil einer Identitätsbildung betrachtet, die sich gegen die dominante westdeutsche Narration richtet.

Die politischen Strömungen, die in Ostdeutschland populär sind, spiegeln diese ambivalente Beziehung zu Russland wider. Parteien wie die Linke und die AfD haben in der Vergangenheit immer wieder betont, dass eine Annäherung an Russland notwendig sei, um die geopolitischen Spannungen zu verringern. Diese Positionen finden in Teilen der Bevölkerung Unterstützung, die eine Rückkehr zu einem stabilen Verhältnis zu Russland anstreben.

Die Diskussion um den Hitler-Stalin-Pakt und seine Folgen hat auch Auswirkungen auf die gegenwärtige politische Landschaft in Deutschland. Die Erinnerung an diesen Vertrag wird oft genutzt, um aktuelle politische Positionen zu legitimieren. In Zeiten geopolitischer Spannungen wird die Frage nach der Rolle Russlands in Europa neu aufgeworfen, und die historische Perspektive auf den Hitler-Stalin-Pakt wird in den politischen Diskurs integriert.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die ostdeutsche Russlandliebe tief in der Geschichte verwurzelt ist. Der Hitler-Stalin-Pakt und die damit verbundenen Ereignisse haben nicht nur den Verlauf des Zweiten Weltkriegs beeinflusst, sondern auch die kollektive Erinnerung und Identität in Ostdeutschland geprägt. Während die westliche Sichtweise auf die Geschichte oft von Schuld und Verantwortung geprägt ist, zeigt sich in Ostdeutschland eine andere Perspektive, die sich in einer ambivalenten Beziehung zu Russland niederschlägt. Diese Komplexität erfordert ein differenziertes Verständnis der Geschichte und ihrer Auswirkungen auf die gegenwärtige politische Landschaft.

Die Erinnerung an den Hitler-Stalin-Pakt ist somit nicht nur eine Frage der Vergangenheit, sondern hat auch unmittelbare Relevanz für die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in der Gegenwart. Die Auseinandersetzung mit dieser Geschichte ist entscheidend, um die gegenwärtigen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland zu verstehen und zu gestalten.

Quellen:

  • Frankfurter Allgemeine Zeitung
  • Bundeszentrale für politische Bildung
  • Wikipedia
  • Cicero
  • Dekoder
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