24.10.2024
Kulinarisches Tiflis Zwischen Tradition und Moderne

Büschel von Koriander und Estragon, eimerweise eingelegte Rüben, grüne Tomaten und Knoblauch, Regalbretter voll Glasflaschen mit grünem und rotem Tkemali, der georgischen Kirschpflaumensoße. „Als ich das erste Mal hier war, war es unmöglich, Blattsalat zu bekommen“, erzählt Paul Rimple, Journalist aus Kalifornien, der seit 20 Jahren in Tiflis lebt und Besuchern die lebendige Foodszene zeigt. „Am Dezerter Bazaar kann man sehen, wie sich die Stadt verändert hat. Mittlerweile gibt es hier auch Avocados und Brokkoli.“ Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet, ist Tiflis eine Stadt im Wandel, im Zentrum eines der ältesten Wein- und Käseländer der Welt. Hier treffen Ost und West, Tradition und Moderne aufeinander: An den Häusern ranken Weinblätter, selbst beim Friseur bekommt man als Erstes ein Glas Wein angeboten.

In den Gassen gibt es noch einzelne Käseläden und Metzgereien, aus Kellerfenstern wird Khachapuri verkauft, mit Käse gefülltes Fladenbrot und das beliebteste Nationalgericht Georgiens. Ehemalige Garagen haben sich in gemütliche Cafés verwandelt, und die oft schiefen Balkone der alten Gemäuer sind mit Europaflaggen geschmückt. Über allem wacht „Mutter Georgien“. Die Statue überblickt die ganze Stadt: in der einen Hand ein Schwert, in der anderen ein Weinglas – zur Abwehr von Feinden, aber auch als Zeichen der Gastfreundschaft.

Marktfrau auf dem „Dezerter Bazaar“: Frische Kräuter sind hier extrem wichtig, vor allem Estragon und Koriander. Es ist Montagmorgen, 10.30 Uhr, und wir bekommen von einer Marktfrau einen Becher Chacha-Schnaps in die Hand gedrückt. Dazu frisches Lobiani, ein mit Bohnen gefülltes Fladenbrot, direkt aus dem großen Lehmofen, heiß und duftend, und ein Schälchen rote Paste. „Das ist Adschika“, sagt Rimple. „Sie kommt aus Westgeorgien und besteht hauptsächlich aus Knoblauch, Koriander, getrockneten und frischen Paprika und Peperoni.“ Weiter geht es durch einen Gang mit gestapelten Käselaiben, dahinter ein Raum voll Mehlsäcke. „Der Bazaar stammt noch aus der Zarenzeit. Zu Sowjetzeiten befand sich der Lebensmittelbereich lediglich unter einem einzigen Dach im Obergeschoss.“

Lokale Zutaten und neue Kochmethoden: Die Köchin Tekuna Gachechiladze gilt als Vorreiterin der modernen georgischen Küche. An einem lauen Abend in Sololaki, dem ältesten und angesagtesten Viertel von Tiflis. Zwischen Häuserruinen aus der Zeit der Sowjetunion und hippen Weinbars kocht Tekuna Gachechiladze im „Littera“. Sie gilt weit über die Landesgrenzen hinaus als Georgiens bekannteste Köchin und serviert in der ehemaligen Villa des sowjetischen Schriftstellerverbandes eine neue georgische Küche. „Wir befinden uns hier im Schmelztiegel von Europa und Asien“, sagt Gachechiladze. „Die Seidenstraße führte hier entlang. Vieles wie Gewürze kam auf diesem Weg nach Georgien, einiges blieb, manches ging zurück nach Europa oder umgekehrt.“

Gachechiladze revolutionierte die georgische Küche mit lokalen Zutaten und neuen Kochmethoden. „Ich wollte zu den Wurzeln zurückkehren und habe angefangen, einheimische Zutaten zu verwenden – all das, was wir während der Sowjetzeit verloren haben.“ Sie schwärmt von Bärlauch und Pilzsorten, die in Tiflis niemand kannte. Anders in den Bergen und Dörfern. Dafür arbeitet sie mit Kleinbauern und Sammlern zusammen, die ihr die Zutaten liefern. „Ich versuche, das Beste aus dieser Region herauszuholen.“

Die berühmten Phkali, Walnusspasten als Vorspeise, modern interpretiert im „Littera“. Wie in Georgien üblich, beginnt die Supra, das traditionelle georgische Essen, auch im „Littera“ mit einer Vielzahl von Vorspeisen. Eine davon ist Phkali, eine Walnuss­paste auf Basis von vielerlei Gemüse wie Spinat oder Roter Bete, die Gache­chiladze aber farbenfroher und geschmacklich intensiver zubereitet, mit mehr Knoblauch und Adschika. Am bekanntesten ist Gachechiladze aber wohl für ihr Muschelgericht à la Chakapuli. „Statt Lammeintopf fing ich an, Muscheln mit Estragon und Weißwein zu kochen. Am Schwarzen Meer gibt es wunderbare Muscheln, aber niemand aß sie. Das gehörte einfach nicht zu unserer Kultur.“ Sie erzählt, wie sie anfangs nicht nur auf Zustimmung stieß, ein traditionelles Rezept so umzuwandeln. Doch schließlich servierten das Gericht auch andere Restaurants in Tiflis.

„Überall gab es die gleichen Gerichte“

Eine ruhige Straße im Stadtteil Plechanow auf der anderen Seite des Flusses. Eine unscheinbare blaue Tür, ohne Schild. Dahinter verbirgt sich „Ninia’s Garden“: Ein von Weinreben umrankter Lichthof öffnet sich zu einem großen Garten, eine grüne Oase mitten in Tiflis. Köchin und Inhaberin Meriko Gubeladze betreibt noch vier weitere Restaurants in der Stadt, darunter das beliebte „Shavi Lomi“. Wie Gachechiladze gehört sie zur Bewegung, die die georgische Küche revolutioniert hat.

„Vor 15 bis 20 Jahren gab es in Tiflis keine Restaurantszene. Überall gab es die gleichen Gerichte, man schaute nur wegen der Preise auf die Speisekarte“, erzählt Gubeladze. Ansonsten habe man immer gewusst, was es gibt. „Meistens klassisch georgische Gerichte mit sowjetischen Einflüssen. Also Phkali und einfache Fleischgerichte. Als sich immer mehr Menschen für die Gastronomie interessierten, fingen die Restaurants an, professionell zu denken und Menüs zu kreieren.“

Rote-Bete-Salat im „Ninia’s Garden“. Im „Ninia’s Garden“ sieht das so aus: ein Teller mit auf den Kopf gestellten Auberginen – statt der klassischen Badrijani Nigvzit, gebratenen Auberginenscheibenröllchen mit Walnusscreme und Granatapfelkernen. „Wir servieren sie anders, nicht traditionell, sondern mit Bazhe, einer Walnusssoße, verfeinert mit geräuchertem Adschika und Walnusspaste“, erklärt Gubeladze. Normalerweise wird diese Soße zu Huhn serviert. Dazu gibt es einen Salat, der die Rote Bete in allen Formen zelebriert: „Hier haben wir geleeartige, eingelegte und getrocknete Rote Bete, dazu Tkemali, unsere saure Pflaumensoße.“

Scheinbar einfache Gerichte, dafür aber zubereitet mit den besten lokalen und saisonalen Zutaten. „Wir versuchen, unsere Gäste zu überraschen . . . Wir erfinden das Rad nicht neu, sondern dekonstruieren das Gericht und spielen mit den Texturen“, erklärt Gubeladze ihr Geheimnis. „Ich mag es nicht, wenn man einem Gericht einen georgischen Namen gibt und man es aber nicht wiedererkennen kann.“

Khachapuri - das Signature Dish im Restaurant

In der Altstadt von Tiflis, gleich neben dem berühmten Rezo-Gabriadze-Uhrturm, liegt das „Otsy“. Koch Giorgi Ninua und Team fokussieren sich auf eine moderne Küche im Fine-Dining-Stil, die sie „Tbilisi Cuisine“ getauft haben. „Es ist eine Art aufgefrischte Version der georgischen Küche mit ein paar netten Extras aus aller Welt“, beschreibt der in Tiflis geborene und im Ausland ausgebildete Ninua seine Kochphilosophie. „Es sind georgische Aromen, aber die Präsentation ist nicht georgisch.“

Der Klassiker der georgischen Küche: Khachapuri, ein mit Käse gefülltes Fladenbrot mit rohem Ei, serviert im Hotel „Stamba“. Im eleganten Speisesaal ertönt Lounge-Musik, zur Mittagszeit ist das Restaurant gut gefüllt, eine scheinbar wichtige Person wird am Eingang von Leibwächtern bewacht. Ninua steht in der Küche und bereitet die beliebten Rinderbäckchen zu. Das Signature Dish von „Otsy“ ist aber das so verlockend auf dem Menü formulierte „escaped“ Khachapuri, das auf dem Tisch noch mal imposanter aussieht: Im Gegensatz zum Original wird hier das Fladenbrot mit einem knusprigen Käserand serviert.

Source URL for above info: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/esskultur-in-georgien-mit-teigtaschen-in-die-moderne-19978821.html

Von außen sieht das Restaurant in der Altstadt von Tiflis eher unscheinbar aus, an einer ruhigen Ecke gelegen ist das „Shavi Lomi“ zur Hälfte von einer Glyzinie überdeckt. Seinen ganzen Charme entfaltet das Restaurant dann im Inneren in den mit Antiquitäten möblierten Räumen dieses alten georgischen Wohnhauses, das sich wie viele Restaurants der Stadt rückwärtig zu einer Veranda mit einem üppig bewachsenen, opulenten Innenhof öffnet. Unter einem mit Glühbirnen behängten Walnussbaum stehen hier Esstische und kleine Loungegruppen. Im September ist es auch am Abend noch angenehm warm.

Es ist der erste Abend der „Tbilisi Gastro Week“, die zum dritten Mal internationale Köche und Vertreter der Presse nach Tiflis gebracht hat, um die Vielfalt der georgischen Küche in diversen „Four Hands Dinners“ mit lokalen Köchen zu präsentieren. Gastgeberin ist an diesem Abend die Köchin Meriko Gubeladze, das Restaurant ist ihr erstes von mittlerweile dreien in und um Tiflis. Im „Ninia’s Garden“ wird sie einige Tage später zusammen mit den aus Bangkok angereisten und aus der Netflix-Serie „Chef’s Table“ bekannten Köchen Bo Songvisava und Dylan Jones aus dem „Bo.lan“ kochen. Doch erst einmal gibt es von Gubeladze eine erste kleine Einführung in die georgische Küche in Form von diversen Vorspeisen, die traditionell wie Mezze für den ganzen Tisch zum Teilen aufgetragen werden. „Bei uns gibt es viele Walnüsse“, erklärt sie die ersten Teller, da hat man noch keinen Schimmer, wie grundlegend die Nüsse für die Küche des Landes sind und wie oft sie einem begegnen werden.

Kleine „Mahadi“-Fladenbrote aus Maismehl werden zu einer ganzen Reihe von festen „Pkhali“-Aufstrichen gereicht, die pestoähnlich mit Walnüssen angereichert sind, darunter ein Auberginenmus, ein anderes aus gegrilltem rotem Paprika mit Kräutern. Dazu gibt es „Sulguni“, einen Käse aus der Salzlake, der zunächst ein altes Vorurteil über georgischen Käse bestätigt, das am Tisch kolportiert wird: Vom georgischen Käse gäbe es drei Sorten – salzig, sehr salzig und sehr, sehr salzig. In der Balance zu den anderen wenig gesalzenen Gerichten verleiht der Käse jedoch eine stimmige, leicht strenge Würze, ähnlich eines Fetas, die nur im ersten Moment etwas gewöhnungsbedürftig ist.

Die georgische Küche kombiniert Aspekte der mediterranen, persischen, türkischen und russischen Küche. Die georgischen Teigtaschen „Khinkali“ sind beispielsweise verwandt mit den russischen „Pelmeni“ und den türkischen „Manti“. Trotz der vielfältigen Einflüsse hat sich in Georgien eine eigenständige und unverwechselbare kulinarische Identität entwickelt. So sind eingangs erwähnte Walnüsse in keiner anderen Küche des Kaukasus so allgegenwärtig wie in der georgischen.

Geschmacklich besonders in Erinnerung bleibt ein aus „Jonjoli“, den in Salzlake fermentierten Blüten der Kolchischen Pimpernuss, gefertigter Pkhali-Paste. Jonjoli werden einem in diesem Tagen immer wieder begegnen, die Georgier verwenden die eingelegten Blütenknospen wie Kapern zu den verschiedensten Gerichten. Bei Meriko Gubeladze beispielsweise in einem kalten Salat aus aufgeschnittenem rosa Kalb mit eingelegtem gelbem Rettich. Erwähnenswert ist auch die landestypische „Tkemali“-Soße aus kleinen roten und sehr sauren Kirschpflaumen, die mit viel frischem Koriander zu Roter Bete gereicht wird und die es auch als grüne Variante mit unreifen Früchten gibt. Mirabellengroß sieht man sie zu dieser Jahreszeit in den verschiedensten Reifegraden und Farben auf den Märkten.

Dem Wein folgt nun auch eine Küche

Ein entscheidender Faktor für die Entwicklung der modernen georgischen Küche ist die georgische Naturweinszene. Als eines der ältesten Weinanbaugebiete der Welt hat es die traditionelle Methode der Weinherstellung in „Qvevris“ – tonnenförmigen, in die Erde eingegrabenen Tonkrügen – wiederbelebt. Georgische Naturweine sind in den Hipsterbars auf der ganzen Welt beliebt; dass dem Wein nun auch eine Küche folgt, war also nur eine Frage der Zeit.

Ein weiteres kulinarisches Highlight ist ein Dinner im Restaurant von Jozy Philosanidze. Chef Jozy, wie er sich der Einfachheit halber nennt, ist mit seinen 26 Jahren ein Star der jungen Gastroszene der Stadt. Viermal habe er an der georgischen Version des TV-Kochwettbewerbs „Master-Chef“ teilgenommen, erzählt er später im „Vino Underground“, der ersten georgischen Naturweinbar. Beim letzten Anlauf hat er den Wettbewerb dann gewonnen. Mit dem Preisgeld habe er in einer der Plattenbausiedlungen der Stadt das „Jozy’s Café“ eröffnet, in dem er auch herausragende „Khachapuris“ serviert. Dazu wird ein runder Hefeteigfladen – ähnlich einer Pizza mit dickem Rand – in der Mitte mit einer Mischung aus Sulguni-Käse, dem etwas weicheren Imeruli-Käse, Milch, Butter und einem rohen Ei befüllt und kurz bei 350 Grad gebacken. Mit Stücken der äußeren Kruste verrührt man die geschmolzene Mitte zu einem herrlich aromatischen Dip. Chef Jozy lässt den Teig mindestens drei Tage kalt gären und sorgt so für eine geschmackliche Tiefe, die aus dem traditionellen Gericht ein kleines Festmahl werden lässt.

Im Frühjahr wurde ihm dann die Leitung des Restaurants „Iakobis Ezo“ im trendigen „Artizan“-Hotel übertragen. Hier überzeugt er an dem Abend der Gastro-Week mit einer Fusion aus georgischer und internationaler Bistro-Küche. Zum Ceviche vom regionalen Wels kombiniert er eine georgische „Kindzmari“-Soße auf Korianderbasis, eingelegte mexikanische Minigurken und karamellisierte Trauben. Zum Spanferkel mit herrlich rescher Kruste gibt es die Tkemali-Soße aus grünen Pflaumen mit Koriander, süßsauer eingelegte Radieschen, karamellisierte Pfirsichspalten und ein Berberitzen-Gel. Diese sehr lässige Verbindung einer traditionellen georgischen Küche mit Elementen einer zeitgemäß internationalen Bistro-Küche sind die geschmacklich überzeugendsten Varianten einer neuen kulinarischen Ausrichtung der Stadt, die gastronomisch in einer spannenden Aufbruchphase steckt. Dazu beigetragen hat auch der Tourismus: Die Clubszene der Stadt – das „Bassiani“ hatte 2017 dem „Berghain“ in Berlin sogar den Titel als bester Club der Welt abgenommen – zieht viele junge Menschen an.

Source URL for above info: https://www.welt.de/iconist/essen-und-trinken/article254139950/Besuch-in-Tiflis-Wie-sich-in-Georgien-eine-unverwechselbare-Gastroszene-entwickelt-hat.html

Viele, einschließlich mir, bestellen lediglich Khachapuri und Khinkali beim ersten Besuch in Georgien.

Bei einer Rundreise kannst du Georgien auch kulinarisch entdecken. Das kleine Land im Kaukasus, das zwischen Europa und Asien liegt, beherbergt wahre Spezialitäten.

Wenn du dich wirklich durchprobierst, erlebst du eine erstaunliche Vielfalt an Geschmäckern und Aromen. Auch wenn deftige Fleischgerichte überwiegen, finden Vegetarier ebenfalls kreative Speisen in Georgien.

In Tiflis gibt es zahlreiche Restaurants, die neben traditioneller Küche auch internationale Speisen servieren.

Source URL for above info: https://explorertom.com/georgische-kueche/

Die Küche Georgiens gilt als eine der spannendsten der Welt. Doch was macht die Faszination aus? Eine Tour durch die Restaurants von Tiflis. Zu Menschen, die gerade dabei sind, sich und ihr Land neu zu erfinden.

Source URL for above info: https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/stil/georgien-kaukasus-kaukasische-kueche-khachapuri-wein-e010097/?reduced=true

Weitere
Artikel