Die jüngsten Urteile des Landgerichts Erfurt, die der Natur eigene Rechte zusprechen, sorgen für Aufsehen und hitzige Debatten. Während ein Teil der Fachwelt von einem Justizskandal spricht, sehen andere darin ein wegweisendes Rechtsinstrument für den Gesetzgeber, um den Herausforderungen der Ökologiekrisen zu begegnen.
Der Philosoph Tilo Wesche, der sich intensiv mit dem Thema der Rechte der Natur auseinandersetzt, sieht in den Urteilen eine logische Konsequenz aus der Erkenntnis, dass unser bisheriges Rechtssystem die Umweltzerstörung eher beschleunigt als verhindert. „Dank ihrer juristisch verbrieften Eigentumsrechte verfügen Menschen nach Belieben über Dinge“, so Wesche in einem Interview mit GEO. „Dabei ist es gleich, ob es sich um profane Gebrauchsgegenstände oder um Naturgüter handelt.“
Tatsächlich werden Naturgüter im geltenden Rechtssystem häufig wie beliebige Sachen behandelt. Ein Beispiel dafür ist der Tagebau Hambach, wo der Energiekonzern RWE große Waldflächen für den Kohleabbau roden darf. Solche Konflikte zwischen Ökonomie und Ökologie zeigen laut Wesche, dass Eigentumsrechte oft stärker gewichtet werden als der Schutz der Natur. „Wenn Klimaschutz und Umweltschutz weniger zählen als Eigentumsschutz“, argumentiert der Philosoph, „dann liegt es doch nahe, sich diesen starken Eigentumsschutz für Nachhaltigkeitsanliegen zunutze zu machen.“
Doch wie kann die Natur zu einem Träger von Eigentumsrechten werden? Wesche verweist auf den Fall des Whanganui River in Neuseeland. Dort wurde nach langem Rechtsstreit zwischen den Maori und der Regierung entschieden, dass der Fluss sich selbst gehört. Dieser Kompromiss, so Wesche, zeige, dass es möglich sei, die Natur als Rechtssubjekt anzuerkennen, ohne dabei auf religiöse Begründungen zurückgreifen zu müssen. „Mir ist sehr wichtig, dass ich an eine bestehende Rechtspraxis anknüpfe“, betont der Philosoph. „Die Rechte der Natur sind keine Traumtänzerei, es ist weltweit eine sich zunehmend etablierende Rechtspraxis.“
Wesche plädiert dafür, die Natur als Eigentümerin ihrer Ressourcen zu betrachten. „Die natürlichen Ressourcen gehören auch der Natur“, so der Philosoph. „Diese Eigentumsrechte der Natur schaffen eine Alternative zu unserem extraktiven Naturverhältnis.“ Wenn Unternehmen die Natur nutzen wollen, müssten sie demnach eine Gegenleistung erbringen, beispielsweise in Form von Investitionen in die Erforschung und Anwendung von nachhaltigen Alternativen.
Die Durchsetzung der Rechte der Natur sieht Wesche in der Hand von staatlichen Institutionen und zivilgesellschaftlichen Akteuren. Ähnlich wie die Rechte von Kindern stellvertretend wahrgenommen werden, könnten auch die Interessen der Natur durch entsprechende Instanzen vertreten werden. „Die bewährte Rechtspraxis hier kann als Vorbild für die Stellvertretung der Naturrechte dienen“, so Wesche.
Die Idee der Rechte der Natur mag auf den ersten Blick ungewohnt erscheinen. Doch angesichts der fortschreitenden Umweltzerstörung und der dringenden Notwendigkeit eines nachhaltigeren Umgangs mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen, bietet sie einen vielversprechenden Ansatz für eine neue Balance zwischen Mensch und Natur. Ob sich dieser Ansatz in der Praxis durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Die Urteile des Landgerichts Erfurt könnten jedoch ein erster Schritt in diese Richtung sein.
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