19.10.2024
Neuanfang in der Energiepolitik: Schweiz erwägt den Bau neuer Atomkraftwerke

Wende in der Atompolitik: Schweiz will wieder Atomkraftwerke bauen

Die Schweizer Regierung hat jüngst eine signifikante Wende in ihrer Atompolitik angekündigt. Energieminister Albert Rösti erklärte, dass die Regierung plant, das bestehende Verbot für den Bau neuer Kernkraftwerke aufzuheben. Diese Entscheidung ist das Resultat einer zunehmenden Besorgnis über die künftige Energieversorgung des Landes, insbesondere im Hinblick auf den steigenden Strombedarf und die Unsicherheiten im Bereich der erneuerbaren Energien.

Hintergrund der Entscheidung

Die Entscheidung, neue Atomkraftwerke in der Schweiz zuzulassen, kommt nur sieben Jahre nach einer Volksabstimmung, bei der sich 58,2 Prozent der Wähler für den schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie und den Übergang zu erneuerbaren Energien ausgesprochen hatten. Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 hatte die Schweiz beschlossen, ihre Kernkraftwerke schrittweise abzuschalten. Derzeit sind noch vier Kernkraftwerke in Betrieb, die etwa ein Drittel der Stromproduktion des Landes ausmachen.

Die Schweizer Regierung argumentiert, dass das bestehende Verbot mit dem Ziel der Technologieoffenheit nicht vereinbar sei und zudem Risiken für den Rückbau bestehender Anlagen birgt. Energieminister Rösti betonte, dass es unklar sei, ob der Ausbau der erneuerbaren Energien schnell genug voranschreiten könne, um die wegfallenden Kapazitäten der Atomkraftwerke zu ersetzen. Die Regierung plant, bis Ende des Jahres einen Gesetzesentwurf auszuarbeiten, der die Grundlage für den Neubau von Kernkraftwerken schaffen soll.

Reaktionen auf die Ankündigung

Die Ankündigung der Regierung hat in der politischen Landschaft der Schweiz für Aufregung gesorgt. Während die Befürworter der Atomkraft, wie das Nuklearforum Schweiz, die Entscheidung begrüßen, zeigen sich die Grünen und die Schweizerische Energiestiftung empört. Sie argumentieren, dass die Regierung dem Volkswillen widerspricht und die Entscheidung den bereits beschlossenen Atomausstieg untergräbt.

Die Diskussion über die Atomkraft wird in der Schweiz von verschiedenen politischen Lagern geführt. Während die bürgerlichen Parteien, insbesondere die SVP, die Notwendigkeit neuer Kernkraftwerke betonen, gibt es innerhalb der Mittepartei Stimmen, die den Atomausstieg infrage stellen. Einige Politiker argumentieren, dass die Schweiz ohne Atomkraft nicht in der Lage sein wird, ihre Klimaziele zu erreichen und die Energieversorgung im Winter zu sichern.

Finanzierungsfragen und wirtschaftliche Überlegungen

Ein zentrales Thema in der Debatte um den Neubau von Atomkraftwerken ist die Finanzierung. Politische Entscheidungsträger und Experten diskutieren, wie die milliardenschweren Investitionen für neue Anlagen gedeckt werden können. Einige Politiker fordern staatliche Subventionen für den Bau neuer Kernkraftwerke, um Investoren zu gewinnen. Diese Forderung steht im Widerspruch zu früheren Positionen, die staatliche Förderungen für erneuerbare Energien kritisierten.

Die hohen Kosten für den Bau neuer Kernkraftwerke sind ein weiteres Hindernis. In Europa sind neue Atomkraftwerke aufgrund gestiegener Sicherheitsanforderungen und komplexer Genehmigungsverfahren kaum noch wirtschaftlich rentabel. Der Bau des britischen Kernkraftwerks Hinkley Point C beispielsweise wird nur durch staatliche Bürgschaften und hohe Subventionen möglich.

Endlagerung und Sicherheitsbedenken

Ein weiterer kritischer Punkt in der Diskussion um die Atomkraft ist die Endlagerung des Atommülls. Die Schweiz plant, ihren Atommüll in einem geologischen Tiefenlager in der Nähe der deutschen Grenze zu lagern. Der Standort "Nördlich Lägern" in den Kantonen Zürich und Aargau wurde bereits ausgewählt, jedoch soll die endgültige Entscheidung über den Standort erst Ende dieses Jahrzehnts in einer Volksabstimmung getroffen werden.

Die Sicherheitsbedenken im Zusammenhang mit der Atomkraft sind nach wie vor hoch. Kritiker weisen auf die potenziellen Risiken von Unfällen und die Herausforderungen bei der Entsorgung hochradioaktiver Abfälle hin. Diese Bedenken sind besonders relevant in Anbetracht der Erfahrungen aus der Vergangenheit, wie den Katastrophen in Tschernobyl und Fukushima.

Ausblick und zukünftige Entwicklungen

Die Diskussion über die Rückkehr zur Atomkraft in der Schweiz steht erst am Anfang. Der Gesetzesentwurf wird voraussichtlich im kommenden Jahr im Parlament und anschließend dem Volk zur Abstimmung vorgelegt. Die Meinungen über die Notwendigkeit und Sicherheit neuer Kernkraftwerke sind stark polarisiert, und es bleibt abzuwarten, wie die Bevölkerung auf die geplanten Änderungen reagieren wird.

Die Wende in der Atompolitik der Schweiz könnte weitreichende Auswirkungen auf die Energieversorgung und die Klimapolitik des Landes haben. Angesichts der Herausforderungen im Bereich der erneuerbaren Energien und der Notwendigkeit, die Energieversorgung zu sichern, wird die Debatte um die Atomkraft in den kommenden Jahren voraussichtlich intensiv weitergeführt werden.

Quellen: FAZ, NZZ, Die Zeit, Swissinfo.

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