19.10.2024
Politische Turbulenzen in Serbien: Der Streit um Lithium und die Zukunft Vučićs

Stürzt Aleksandar Vučić in Serbien über einen Streit um Lithium?

Serbien steht vor einer politischen und gesellschaftlichen Zäsur, die durch den Streit um den Abbau von Lithium im Jadar-Tal ausgelöst wurde. Präsident Aleksandar Vučić, der seit vielen Jahren an der Spitze des Landes steht, sieht sich einer Welle von Protesten gegenüber, die sich aus der Besorgnis über die Umweltauswirkungen des geplanten Bergbaus speisen. Diese Proteste haben nicht nur ökologische, sondern auch soziale und politische Dimensionen, die die Stabilität seiner Regierung gefährden könnten.

Die Lithiumvorkommen im Jadar-Tal gelten als eine der größten Lithiumlagerstätten Europas. Der britisch-australische Konzern Rio Tinto hat Pläne angekündigt, diese Vorkommen auszubeuten, was jedoch auf erheblichen Widerstand in der Bevölkerung gestoßen ist. Die Bürger befürchten, dass der Abbau zu irreversiblen Umweltschäden führen könnte, insbesondere zur Verschmutzung des Grundwassers, das für die Landwirtschaft und die Trinkwasserversorgung von zentraler Bedeutung ist. Diese Ängste wurden durch Berichte über frühere Umweltschäden, die Rio Tinto in anderen Ländern verursacht hat, noch verstärkt.

Im Jahr 2022 führte der Widerstand gegen das Lithiumprojekt zu massiven Protesten, die schließlich dazu führten, dass die serbische Regierung das Vorhaben vorübergehend stoppte. Vučić, der in der Vergangenheit oft in der Lage war, Proteste zu ignorieren oder zu unterdrücken, sah sich in dieser Situation gezwungen, nachzugeben. Er wollte vermeiden, dass die Opposition, die zu diesem Zeitpunkt zerstritten war, ein gemeinsames Thema findet, das sie vereinen könnte.

Doch die Situation hat sich seitdem weiterentwickelt. Im Juli 2024 besuchte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz Serbien, um den serbischen Präsidenten in seinen Bemühungen zu unterstützen, das Lithiumprojekt wieder aufleben zu lassen. Scholz und der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Maroš Šefčovič, unterzeichneten ein Abkommen, das eine umweltverträgliche Förderung des Lithiums im Jadar-Tal ermöglichen soll. Dies wurde als historischer Schritt angesehen, um Serbien in die europäische Wertschöpfungskette für Elektroautos zu integrieren.

Die Reaktionen auf diesen Besuch waren jedoch gemischt. Während die serbische Regierung die Unterstützung aus Berlin begrüßte, wuchs der Widerstand in der Bevölkerung. Zehntausende Menschen gingen auf die Straße, um gegen das Projekt zu protestieren. Die Demonstranten äußerten nicht nur ihre Bedenken hinsichtlich der Umwelt, sondern auch ihre Abneigung gegen ausländische Einflüsse und die vermeintliche Unterordnung Serbiens unter westliche Interessen. Slogans wie „Raus aus Serbien“ und „Wir sind keine deutschen Versuchskaninchen“ wurden lautstark skandiert.

Die Opposition in Serbien, die lange Zeit geschwächt war, sieht in den Protesten eine Chance, sich neu zu formieren und Vučić unter Druck zu setzen. Führende Mitglieder der Opposition haben die Proteste als Ausdruck des Volkswillens interpretiert und fordern eine Rückkehr zu einem umweltfreundlicheren und nachhaltigeren Ansatz in der Rohstoffpolitik. Die Protestbewegung hat sich mittlerweile zu einer breiten Koalition entwickelt, die Umweltschützer, Landwirte, Linke und Nationalisten umfasst.

Die serbische Regierung reagierte auf die Proteste mit Repression. Berichten zufolge wurden zahlreiche Aktivisten festgenommen, ihre Wohnungen durchsucht und sie wurden in sozialen Medien bedroht. Diese Maßnahmen haben die Nervosität der Regierung verstärkt und zeigen, dass Vučić bereit ist, harte Maßnahmen zu ergreifen, um die Kontrolle zu behalten. Gleichzeitig hat die Regierung versucht, die Proteste als ausländische Verschwörung darzustellen, die darauf abzielt, Vučić zu stürzen.

Die Situation in Serbien ist angespannt, und die Frage bleibt, ob Vučić in der Lage sein wird, die Kontrolle zu behalten. Die Proteste sind ein Zeichen für die wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung, die sich nicht länger mit den Entscheidungen der Regierung abfinden will. Die Opposition hat die Möglichkeit, aus dieser Unzufriedenheit Kapital zu schlagen, und es bleibt abzuwarten, ob sie in der Lage ist, eine einheitliche Front zu bilden, um Vučić herauszufordern.

Die kommenden Wochen und Monate werden entscheidend sein, um zu sehen, ob die Protestbewegung an Dynamik gewinnt und ob die Regierung in der Lage ist, die Situation zu beruhigen. Der Streit um Lithium könnte sich als Wendepunkt in der serbischen Politik erweisen und die Zukunft von Aleksandar Vučić an der Spitze des Landes in Frage stellen.

Die Entwicklungen rund um den Lithiumabbau in Serbien sind nicht nur für das Land selbst von Bedeutung, sondern auch für die europäische Rohstoffpolitik insgesamt. Die EU ist bestrebt, ihre Abhängigkeit von China und anderen Ländern zu verringern, die wichtige Rohstoffe liefern. In diesem Kontext könnte Serbien eine Schlüsselrolle spielen, aber nur, wenn die Regierung in Belgrad in der Lage ist, die Bedenken der Bevölkerung ernst zu nehmen und einen nachhaltigen und verantwortungsvollen Ansatz zu verfolgen.

Die Situation bleibt also angespannt, und die Frage, ob Aleksandar Vučić über den Streit um Lithium stürzt, ist noch offen.

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