19.10.2024
Regulierung der Produktsicherheit im Zeitalter der Billiganbieter

Digital Services Act: Produktsicherheit leidet unter Billiganbietern wie Temu

Die chinesische Onlineverkaufsplattform Temu hat sich in den letzten Jahren als bedeutender Akteur im europäischen Markt etabliert. Mit dem Slogan „Shoppen wie ein Milliardär“ zielt das Unternehmen darauf ab, Kunden mit extrem günstigen Preisen für Produkte wie Elektronik, Werkzeuge und Textilien anzulocken. Das Geschäftsmodell von Temu basiert darauf, dass die Kaufverträge direkt zwischen den Käufern und den Verkäufern abgeschlossen werden, während die Plattform lediglich als Marktplatz fungiert.

Regulatorische Herausforderungen

Die rasante Expansion von Onlineplattformen wie Temu wirft jedoch erhebliche regulatorische Fragen auf. Insbesondere wird die Einhaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen in Deutschland und der EU zunehmend in Frage gestellt. Die Vertriebsstrukturen dieser Plattformen stehen oft im Widerspruch zu den geltenden Vorschriften, was zu einer Vielzahl von Problemen führt.

Ein zentrales Problem sind die sogenannten „Dark Patterns“, manipulative Designelemente, die darauf abzielen, Verbraucher zu bestimmten Handlungen zu verleiten, die sie möglicherweise nicht beabsichtigen. Diese Praktiken haben bereits zu zahlreichen Abmahnungen durch Verbraucherzentralen geführt, da sie gegen die hier geltenden Anforderungen verstoßen.

Produktsicherheit und Umweltverträglichkeit

Ein weiteres ernstes Anliegen ist die Produktsicherheit. Jährlich gelangen Millionen von Produkten über Plattformen wie Temu nach Europa, die nicht den erforderlichen Sicherheitsstandards und Umweltvorschriften entsprechen. In Testkäufen wurden gefährliche und in der EU verbotene Schadstoffe in Spielwaren, Schuhen und Bekleidung festgestellt. Besonders alarmierend sind die festgestellten Risiken bei elektronischen Geräten, wie zum Beispiel Heizlüftern, die potenziell zu Stromschlägen führen können.

Diese Situation gefährdet nicht nur die Verbraucher, sondern schädigt auch den europäischen Handel und die Industrie. Händler in der EU müssen strenge Anforderungen an die Verkehrsfähigkeit ihrer Produkte erfüllen und unterliegen einer ständigen Kontrolle durch die Behörden. Im Gegensatz dazu haben die Händler auf Plattformen wie Temu nicht denselben Druck zur Einhaltung dieser Vorschriften, was zu einem ungleichen Wettbewerbsumfeld führt.

Regulierungsmaßnahmen der EU

Die EU hat in den letzten Jahren Schritte unternommen, um die Sicherheit und Rechtskonformität von online gehandelten Produkten zu erhöhen. Die seit Juli 2021 geltende europäische Marktüberwachungsverordnung legt fest, dass viele Produkte in der EU nur vertrieben werden dürfen, wenn es eine verantwortliche Person innerhalb der EU gibt. In der Praxis ist dies jedoch oft nicht der Fall, da die angegebenen Kontaktdaten der Verkäufer häufig nicht existieren.

Onlineverkaufsplattformen sind zwar verpflichtet, Produkte von ihrer Plattform zu entfernen, wenn sie Kenntnis davon erlangen, dass diese nicht den Vorschriften entsprechen, jedoch unterliegen sie nicht einer allgemeinen Verpflichtung zur Gewährleistung der Produktsicherheit. Dieses sogenannte Providerprivileg hat die Entstehung innovativer Plattformmodelle ermöglicht, stößt jedoch an seine Grenzen angesichts der enormen Produktvielfalt.

Der Digital Services Act (DSA)

Ein zentraler Aspekt der aktuellen Diskussion ist der Digital Services Act (DSA), der eine Reihe spezifischer Verpflichtungen für Betreiber von Onlineplattformen festlegt. Dazu gehören die Identifikation gewerblicher Händler, stichprobenartige Prüfungen der Konformität der angebotenen Produkte sowie die Sperrung von Händlern, die häufig rechtswidrige Produkte anbieten. Besonders große Plattformen wie Temu müssen zudem Maßnahmen zur Minimierung der Risiken entwickeln, die aus ihrem Geschäftsmodell resultieren.

Die EU-Kommission hat Temu aufgefordert, bis Ende September alle systemischen Risiken, die sich aus seinen Diensten ergeben, ordnungsgemäß zu bewerten und zu verringern. Dazu gehören insbesondere die Risiken im Zusammenhang mit gefälschten Waren, unsicheren oder illegalen Produkten sowie Verletzungen von Rechten an geistigem Eigentum.

Durchsetzungsmechanismen und Konsequenzen

Die EU-Kommission verfügt über umfangreiche Ermittlungs- und Durchsetzungsbefugnisse, um gleiche Wettbewerbsbedingungen sicherzustellen. Bei Verstößen gegen den DSA können empfindliche Bußgelder von bis zu 6 Prozent des weltweiten Jahresumsatzes verhängt werden. Bei massiven und fortdauernden Verstößen kann die Kommission zudem die Sperrung des Zugangs zur Plattform anordnen.

Um einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten, ist es entscheidend, dass die neuen Regelungen des DSA konsequent von den nationalen Behörden und der EU-Kommission angewendet werden. Sollte dies nicht ausreichen, um den massenhaften Vertrieb gefährlicher Produkte in der EU effektiv zu bekämpfen, könnte eine weitere Regulierung notwendig werden. Eine Möglichkeit wäre, Verkaufsplattformen als Wirtschaftsakteure zu klassifizieren, die von den europäischen Behörden ähnlich wie Einführer zur Verantwortung gezogen werden können, wenn keine verantwortliche Person in der EU vorhanden ist.

Fazit

Die Herausforderungen, die durch Billiganbieter wie Temu entstehen, sind vielschichtig und erfordern ein umfassendes regulatorisches Vorgehen. Die EU steht vor der Aufgabe, ein Gleichgewicht zwischen der Förderung von Innovation und dem Schutz der Verbraucher zu finden. Die kommenden Monate werden entscheidend sein, um zu beobachten, wie sich die Maßnahmen des Digital Services Act auf die Marktbedingungen und die Produktsicherheit auswirken.

Die Autoren sind Partner bei der Rechtsanwaltskanzlei Noerr.

Quelle: F.A.Z.

Weitere
Artikel