24.10.2024
Asymmetrisches Fossil aus der Ediacara-Zeit

Vorzeitliches Fragezeichen

Paläontologen sind in Australien auf ein kurioses Wesen aus der Zeit vor der kambrischen Artenexplosion gestoßen. Es trägt ein buchstäblich rätselhaftes Merkmal, das allerdings evolutionär zukunftsweisend war.

Quaestio simpsonorum – was für einen Namen sich die Paläontologen da nur ausgedacht haben! Er bezeichnet eine Kreatur, die vor mehr als einer halben Milliarde Jahren ausstarb und deren fossile Sedimentabdrücke sie unlängst in der Fachzeitschrift „Evolution & Development“ vorstellten und analysierten. Der dort offiziell eingeführte Art- und Gattungsname der Kreatur bedeutet als lateinischer Ausdruck wörtlich „Die Frage der Simpsons“.

Was wollten Homer, Marge und ihre Kinder denn da wissen? „Die Simpsons, nein – obwohl, das wäre lustig gewesen“, sagt Scott Evans von der Florida State University in Tallahassee, der Erstautor der Veröffentlichung. „Tatsächlich ist es nach einer realen Familie gleichen Namens benannt. Nach Mary Lou Simpson und ihrem Mann Antony. Die beiden haben sehr geholfen, den Nationalpark zu realisieren, in dem diese Fossilien gefunden wurden“, wie die FAZ berichtet.

Rätselhafte Ediacara-Fauna

Der Nilpena Ediacara National Park wurde im April 2023 auf dem Land der Rinderfarm Nilpena Sation westlich der Flinders Ranges in Südaustralien eröffnet, um die dort aufgeschlossenen Quarzitfelsen zu schützen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die zauberhaften Flinders Ranges sind ein lohnendes Ziel für Outdoor-Touristen – und der Quarzit der sogenannten Ediacara-Formation bewahrt etwas Außerordentliches: Versteinerungen der frühesten Lebewesen, die man mit bloßem Auge hätte sehen können, wäre dort vor 635 bis 538 Millionen Jahren schon jemand mit Augen zugegen gewesen.

Doch diese sogenannte Ediacara-Fauna gedieh noch vor dem Erdzeitalter des Kambrums, als in einer enormen Steigerung der Vielfalt des Lebens, der sogenannten kambrischen Explosion, fast alle heutigen Tierstämme zum ersten Mal fossil greifbar werden: Schwämme, Quallen, Gliedertiere, Stachelhäuter und die ersten sogenannten Chordaten, aus denen später die Wirbeltiere und damit letzlich auch wir hervorgingen. Die Ediaca waren vor diesen allen da – in dem nach ihnen benannten Erdzeitalter des Ediacariums –, und die meisten von ihnen scheinen von ihrer Anatomie her etwas völlig anderes gewesen zu sein.

Symmetriebrechung

Manche glichen Farnwedeln, andere Säcken aus zusammengewachsenen Würmern, wieder andere Scheiben mit einer skurrilen dreizähligen Symmetrie. Es gab aber auch welche mit so etwas wie einer Rechts-links-Symmetrie, wie sie für etliche der späteren Tierstämme charakteristisch ist. Zu ihnen gehört auch Quaestio simpsonorum.

Und doch ist dieses Wesen eine gar nicht kleine paläontologische Sensation. Diese besteht in einer Struktur in der Mitte ihrer zwischen drei und acht Zentimeter großen scheibenförmigen Körper: etwas, das zu Lebzeiten als ein langer, nur wenige Millimeter breiter Kamm oder Grad aus ihrer Oberseite geragt haben könnte. „Diese Struktur mag aber auch mit der anatomischen Organisation im Körperinneren zu tun haben oder ein internes Merkmal sein, das sich nach der Bedeckung mit Sediment auf die äußere Membran durchgeprägt hat“, schreiben Evans und Kollegen. Aber was immer es zu Lebzeiten darstellte, es war eigentümlich gekrümmt, wie ein Fragezeichen. Daher übrigens der lateinische Gattungsname Quaestio.

Damit aber brach dieses Merkmal die Rechts-links-Symmetrie des Körpers. Das Wesen unterschied sich somit von seinem Spiegelbild, wie unsere rechte Hand sich von der linken unterscheidet. Damit ist Q. simpsonorum das früheste bekannte Lebewesen mit dieser „Chiralität“ genannten Eigenschaft.

Das sei ein analoges Phänomen wie beim Menschen die Lage vieler innerer Organe. Bei den weitaus meisten Menschen sitzt beispielsweise das Herz links in der Brust, die Leber dagegen rechts. „Solche asymmetrischen Merkmale im Körperbau sind bei Tieren weit verbreitet, und wir wissen, dass sie durch die Aktivität von Genen gesteuert werden, die die Rechts-Links-Organisation des Körpers während der Entwicklung festlegen“, sagt Evans. „Aber wie genau diese Links-Rechts-Asymmetrie in der Evolution entstanden ist, ist ein großes Rätsel.“

Ein Hinweis könnte sein, dass die Chiralität auf molekularer Ebene – also die Abhängigkeit der räumlichen Struktur von Molekülen von der Anordnung ihrer Atome – schon viel früher entstanden sein muss. Denn schon die allerersten Lebewesen benötigten Proteine, und die sind aus Aminosäuremolekülen aufgebaut, die chiral sind. Sie kommen in Lebewesen nur in einer Variante vor, während die spiegelbildliche Form inaktiv ist. „Das wirft die Frage auf, ob und wie diese frühe Chiralität auf molekularer Ebene mit der späteren Entstehung der Chiralität auf der Ebene von Organismen zusammenhängt“, sagt Evans.

Q. simpsonorum könnte nun ein wichtiges Bindeglied in dieser Kette sein. „Es ist das früheste Fossil, das eindeutig diese Art von Asymmetrie aufweist“, sagt Mary Droser von der University of California in Riverside, die ebenfalls an der Studie beteiligt war. „Das deutet darauf hin, dass die Evolution der Chiralität ein vielschichtiger Prozess war, der in mehreren Schritten ablief.“

Möglicherweise, so spekulieren die Forscher, könnte die genetische Steuerung der Chiralität auf der Ebene von Organismen durch die Notwendigkeit entstanden sein, die räumliche Anordnung von Zellen und Geweben während der Entwicklung komplexerer Körperformen zu koordinieren. „Das ist aber nur eine Hypothese“, sagt Droser. „Wir brauchen mehr Fossilien aus dieser Zeit, um die Evolution der Chiralität besser zu verstehen.“

Quelle: https://www.faz.net/aktuell/wissen/leben-gene/quaestio-simpsonorum-war-das-frueheste-chirale-lebewesen-110061467.html

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