19.10.2024
Baerbocks Besuch in Israel: Herausforderungen und Perspektiven im Konflikt

Lage im Überblick: Baerbock beginnt schwierige Gespräche in Israel

Am 6. September 2024 reiste die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock nach Israel, um Gespräche mit hochrangigen Regierungsvertretern zu führen. Diese Gespräche finden in einem angespannten politischen Klima statt, das von anhaltenden Protesten und einer kritischen humanitären Lage im Gazastreifen geprägt ist. Vor ihrem Treffen mit dem israelischen Außenminister Israel Katz forderte Baerbock die israelische Regierung auf, sich nicht länger von Verhandlungen über eine Zweistaatenlösung zu verschließen.

Am Vorabend ihres Besuchs demonstrierten in Tel Aviv zahlreiche Menschen für ein Geisel-Abkommen im Kontext des Gaza-Kriegs. Diese Proteste folgten auf eine Welle von Massenprotesten in der vergangenen Woche, die durch den Fund von sechs Geisel-Leichen ausgelöst wurden. Trotz der anfänglichen Mobilisierung hat die Teilnehmerzahl der täglichen Demonstrationen seitdem deutlich abgenommen. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu äußerte sich unnachgiebig und erklärte in einem Interview mit Fox News, dass derzeit kein Deal in Sicht sei. Die Frage, was Baerbock bei ihren Gesprächen erreichen kann, bleibt offen.

Die Angehörigen der Geiseln werfen der Regierung vor, ein Abkommen zur Freilassung der Geiseln zu sabotieren. «Dies ist die letzte Chance», skandierten die Demonstranten. Baerbock plante, zunächst mit Katz und anschließend mit Verteidigungsminister Joav Galant zu sprechen. Im Mittelpunkt ihrer Gespräche dürften die stockenden Bemühungen der Vermittler aus den USA, Katar und Ägypten stehen, die eine Waffenruhe und die Freilassung der Geiseln in Gaza anstreben. Die US-Regierung hatte zuvor mitgeteilt, dass 90 Prozent des Abkommens bereits vereinbart seien.

Netanjahu bekräftigte jedoch, dass er an einer dauerhaften Präsenz israelischer Truppen im sogenannten Philadelphi-Korridor im Süden Gazas festhalten wolle. Dieser Korridor, der etwa 14 Kilometer lang ist und an die Grenze zu Ägypten grenzt, soll nach Netanjahus Darstellung sicherstellen, dass die Hamas keine Waffen in den Gazastreifen schmuggeln kann. Diese Position findet bei vielen Israelis Zustimmung, wie das «Wall Street Journal» berichtete.

In Israel gibt es derzeit zwei vorherrschende Stimmungen: Der Wunsch, dass die verbleibenden Geiseln in der Gewalt der Hamas freikommen, und ein tiefes Misstrauen gegenüber Netanjahu. Viele befürchten, dass ein Abkommen mit der Hamas dazu führen könnte, dass sich die Organisation neu gruppiert und erstarkt. Eine Umfrage des Jewish People Policy Institute ergab, dass 49 Prozent der jüdischen Israelis der Meinung sind, Israel dürfe die Kontrolle über den Korridor nicht aufgeben, selbst wenn dies auf Kosten eines Geisel-Deals ginge. 43 Prozent hingegen sind der Ansicht, dass Israel dies tun sollte.

Die Mehrheit in Netanjahus Koalition, die aus rechten, ultranationalistischen und religiösen Partnern besteht, unterstützt seine Haltung in den Verhandlungen und betrachtet die Protestierenden nicht als ihre Wähler. Dahlia Scheindlin, eine Expertin für öffentliche Meinung in Israel, erklärte, dass es der Koalition egal sei, ob die Mehrheit der Demonstranten gegen Netanjahu sei, da sie ohnehin nicht zu ihrem Wählerklientel gehörten.

Während die politischen Verhandlungen weiter stagnieren, beklagen die Vereinten Nationen die humanitäre Lage im Gazastreifen als «mehr als katastrophal». Laut UN-Sprecher Stéphane Dujarric erhielten im August mehr als eine Million Palästinenser keine Lebensmittelrationen auf humanitärem Weg. Die Zahl der täglich gekochten Mahlzeiten sei im Vergleich zum Juli um 35 Prozent auf 450.000 gesunken, was teilweise auf die Evakuierungsbefehle der israelischen Armee zurückzuführen sei. Dies führte dazu, dass mindestens 70 von 130 Küchen gezwungen waren, ihren Betrieb einzustellen oder zu verlagern.

Die UN berichteten zudem, dass internationale Medienvertreter auch elf Monate nach Beginn des Konflikts weiterhin nicht in den Gazastreifen einreisen dürfen, um über die humanitäre Lage zu berichten. Im Westjordanland setzt Israel im Rahmen einer großangelegten Antiterrorkampagne «kriegsähnliche Taktiken, einschließlich Luftangriffe» ein, was zu weiteren Opfern und Zerstörungen geführt hat.

Baerbock äußerte sich besorgt über den Gewaltausbruch im Westjordanland und betonte, dass Israel als Besatzungsmacht gemäß der Genfer Konvention verpflichtet sei, Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten. Sie betonte, dass Terror nicht bekämpft werden könne, indem man zivile Infrastrukturen angreife oder den Zugang zu medizinischer Versorgung einschränke.

Im Rahmen ihrer Nahost-Reise wird Baerbock am Nachmittag den Ministerpräsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mohammed Mustafa, in Ramallah treffen. Die palästinensische Behörde könnte, so Baerbock, eine wichtige Rolle in einer möglichen Nachkriegsordnung im Gazastreifen spielen. Zu Beginn ihrer Reise hatte sie Israels Regierung mit deutlichen Worten aufgefordert, sich nicht länger von der Idee einer Zweistaatenlösung zu entfernen. Diese Lösung sieht die Schaffung eines unabhängigen palästinensischen Staates neben Israel vor und wird von vielen als Schlüssel zur langfristigen Stabilität in der Region angesehen.

Die kommenden Gespräche werden entscheidend sein, um die aktuellen Spannungen zu adressieren und mögliche Fortschritte in den Verhandlungen um eine Waffenruhe und die Freilassung der Geiseln zu erzielen. Die internationale Gemeinschaft beobachtet die Entwicklungen in der Region mit großem Interesse und Hoffnung auf eine Deeskalation der Gewalt.

Quellen: dpa, Wall Street Journal

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