19.10.2024
Charly Hübners Hommage an Uwe Johnson

Charly Hübners Fanbuch über Uwe Johnson

Eine Schule des Lesens in bedrohlichen Zeiten: Der Schauspieler Charly Hübner hat ein sehr charmantes Fanbuch über den Autor der „Jahrestage“ geschrieben.

Uwe Johnson ist eh der Größte

Man kann sich die Szene nur zu gut vorstellen: Da steht der Schauspieler Charly Hübner, an dessen ebenso massiger wie verletzlicher Gestalt aller intellektueller Dünkel abprallen muss, mit zwei Schriftstellern zusammen und wagt diesen dann doch intellektuellen Dünkel todesmutig herausfordernden Satz: „Uwe Johnson ist eh der größte deutsche Schriftsteller des 20. Jahrhunderts“ – so einer wie Homer, Tol-stoi, Proust in ihrer Zeit eben. Hübner selbst steigt mit dieser Szene in sein jetzt bei Suhrkamp erscheinendes Fanbuch über Uwe Johnson ein, das seiner Eloge auf Motörhead, die Heavy-Metal-Band, folgt, die 2021 herauskam (nicht bei Suhrkamp). Und erzählt weiter: „Danach entstand eine nicht spannungslose Stille.“ Die Denkblasen der beteiligten Autoren kann man sich dazudenken: So etwas sagt man nicht, kann man doch so nicht sagen. Weitere Leute kamen dazu, die Stille schlug in Empörung um. Wenn man überhaupt vom Größten reden könne, so müssten selbstverständlich doch erst einmal Thomas Mann, Franz Kafka oder Bertolt Brecht in Erwägung gezogen werden! Aber Hübner bleibt bei seiner Meinung, und die Begründung will er in diesem Buch liefern.

Dann ist diese Sprache nicht mehr sperrig

Mit der Szene gibt er den persönlich-selbstironischen Ton vor, der den „kleinen Jubeltext“ grundiert und gegen die Skrupel der Betriebsprofis absichert. Hübners Johnson-Begeisterung geht auf die Tage nach dem Untergang der DDR zurück, als er gerade Abitur gemacht hatte und mit seiner Zukunftseuphorie den mit dem Verschwinden ihres Staats hadernden Eltern derart auf die Nerven ging, dass diese ihn vor die Tür setzten. Er kam in einem Forsthaus unter und las dort alle möglichen Klassiker, die ihm ein Buchklub zuschickte, irgendwann auch den Roman „Jahrestage“. „Johnson hatte mich sofort.“

Eine Hommage an Uwe Johnson

Und zwar nicht nur, weil es „Weltliteratur aus der Heimat“ ist, aus Mecklenburg, woher auch Hübner kommt. Von Anfang an war dieses Buch mit seinen oft vertrackten Wort- und Gedankenstellungen für ihn vielmehr die Schule einer besonderen Art des Lesens: „Johnson zwingt uns dazu, gleich von vornherein zu verweilen, nicht zu eilen.“ Der Schlüssel zu diesem Autor sei die Langsamkeit – „da entsteht sein Sog“. Es sei ein ruhiges und zugleich aktives, ganz und gar aufmerksames Lesen, das die „Jahrestage“ einfordern. Das hat Hübner viel später auch professionell erfahren, als er vergangenes Jahr zusammen mit Caren Miosga den gesamten Roman 74 Stunden lang eingelesen hat.

Eine Liebeserklärung an das Lesen

Wer dort hineinhört, kann nur bewundern, wie es Hübner gelingt, sich auf die unterschiedlichen Rhythmen und Verästelungen des Textes einzulassen, ihnen einen Körper und eine Selbstverständlichkeit zu geben, über die er nun selbst an einer Stelle schreibt: „Dann ist diese Sprache nicht mehr sperrig oder geziert, dann ist sie folgerichtig, geradezu logisch, plauderhaft und von großem Understatement.“ (Understatement ist Hübner besonders wichtig, es ist auch die Grundhaltung seines eigenen Buchs.) Tatsächlich lässt einen diese Lesung nicht nur Johnson besser verstehen, sondern auch die intellektuelle und emotionale Spannweite des Schauspielers Charly Hübner, in dem eben noch viel mehr steckt als bloß der Kommissar Bukow aus dem Rostocker „Polizeiruf 110“, das Authentizitäts-Urgestein des deutschen Fernsehkrimis.

Die Johnson-Lektüre als Schule des Lebens

Und zugleich ist die Johnson-Lektüre für Hübner, von heute her gesehen, auch eine Art Schule des Lebens in unruhigen, ja bedrohlichen Zeiten. Er erzählt, wie es dazu kam, dass auch er selbst sich jahrzehntelang der Illusion einer vor den Zumutungen der großen Welt geschützten Idylle hingab, die er in der DDR kannte. Erst als er selbst Vater wurde, begann er, die Illusionen aufzugeben und die Realität zu akzeptieren.
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